Dienstag, 28. April 2009

Helen und Holly am Himalaya

"Ich hab dich gestern abend in der Jazzbar gesehen", sagt eine Frau im Guesthouse in Pokara zu mir. "Ich bin Helen". Ja, ich erinnere mich. Sie hat mit der Band gesungen. Normalerweise kennen die Gaeste die Kuenstler und nicht umgekehrt. Helen hustet. "Ich habe mich vor ein paar Tagen verkuehlt", sagt sie. "In den Bergen hat es geschneit. Ich habe gemeinsam mit Holly und ihren drei Kindern den Berg Pune bestiegen. Das ist Holly und ihre kleine dreijaehrige Tochter Luana. Fuer Luana hat sie einen TRaeger gemietet so wie andere Leute fuers Gepaeck. Und obwohl diese Traeger bis zu 30 Kilo auf ihrem Ruecken schleppen, konnte der das kleine Maedchen nicht tragen. Maenner haben keine Hueften, wo die Kinder aufsitzen koennen.

Also hat Holly sie getragen, zwei Tage hinauf und der TRaeger das GEpaeck. Die zwei grossen Buben, 12 und 8 sind vorausgelaufen und der TRaeger, Shiva ist mit mir gegangen und Holly mit der KLeinen am Ruecken im Tragetuch hinten nach. Shiva hat mit mir geflirtet. Mein Freund hat mich vor ein paar Monaten verlassen. Das war zu Weihnachten und wir waren 6 Jahre zusammen und wollten heiraten. UNd ploetzlich wollte er seine Freiheit. Es war die Freiheit, mit einer 22-jaehrigen Deutschen zu voegeln. Und ich bin 42, wir haben uns in Goa kennen gelernt, ich lebe da seit 6 Jahren und bin Saengerin in einer Jazzband und er war der Gitarrist. Er ist Inder, aber in Dubai sehr westlich aufgewachsen und wollte ein Rockstar sein.


Holly lebt mit ihren Kindern schon seit 10 Jahren in Goa. In London hat sie ein Haus, das sie vermietet und mit dem Geld kann sie sich in Goa mit ein bisschen Verkaufen am Markt ein richtig gutes Leben leisten. Sie wohnt in einer alten portugisieschen Villa mit Hausmaedchen und Gaertner und die Kinder gehen in eine Privatschule. Der einzige Nachteil ist die Regenzeit, die demnaechst anfaengt. Die einzigen, die bleiben, sind die Muetter mit den Kindern, weil sie muessen. Die Maenner verfallen entweder komplett den Drogen oder sie gehen und bleiben weg. Von ihrem Mann hat sie sich vor eineinhalb Jahren getrennt. Sie moechte in Goa bleiben. Jetzt ist sie in Nepal, damit sie ein 5-Jahresvisum fuer sich und ihre Kinder bekommt. Mit etwas Geld unter der Hand geht das hier.

Fuer unsere Bergbesteigung musste ich mir ein paar Sachen kaufen, immerhin waren wir auf fast 3000 Meter. Wir sind mit unseren Turnschuhen gegangen und unseren 3/4 Hosen, aber Haarshampoo und TRockenfruechte hab ich eingepackt. Ich haette viel mehr TRockenfruechte kaufen sollen, denn alles, was man am Weg zu essen bekommt, ist Dal Bat, Reis und Linsencurry. Und das macht ziemlich viel Wind. Beim Gehen hat immer jemand gepfurzt und es hat dauernd gestunken. Waschen kann man sich auch nicht ordentlich, es gibt zwar Duschen, aber meist kein heisses Wasser und wenn, dann im Kuebel und wenn die Sonne weg ist, ist es eiskalt in den Huetten. Und in der Frueh mussten wir immer sehr schnell die Huetten verlassen, weil Luana in der Nacht immer ins Bett gemacht hat, was sie sonst nicht tut. Und Holly wollte weg sein, bevor es jemand bemerkt. Also hat sie Shiva und mich jedesmal aus dem Bett gescheucht, damit wir weiterkommen.

Einmal sind wir sieben Stunden gegangen, bergauf, bergab, bergauf, bergab, ueber Haengebruecken, Stufen hinauf und wieder hinunter. Die Buben sind immer vorausgelaufen, auch wenns geregnet hat. Am Schlimmsten war es, ueber die Haengebruecken zu gehen, wenn einem darauf eine Ziegenherde entgegen gekommen ist. Es hat auch geschneit und Holly hat ein Tuch ueber ihren Kopf und den Kopf von Luana gelegt und sie haben ausgeschaut wie Fluechtlinge. Eine nepalesische Frau hat sie zu sich in die Huette bzw unters Dach gewunken, damit sie sich waermen koennen und ihnen nepalesischen suessen Milchtee zu trinken gegeben. Mich hat ja Shiva gewaermt. Holly wollte, dass er zumindest die Buben beaufsichtigt, wenn sie ihn schon bezahlt. Aber er hatte nur Augen fuer mich und hat mich gefragt, willst du mich heiraten?. Am Abend in der Huette sind dann alle TRaeger zusammen gesessen und haben sich gegenseitig erzaehlt, was sie so gemacht haben. Ich glaube, Shiva hat auch erzaehlt, was wir so gemacht haben. Aber das haben sowieso alle gehoert, denn die Waende in den Huetten sind wiePapier. Ich habe das so genossen, nachdem mich mein Freund fuer eine 22-jahrige verlassen hat. Er ist ja immerhin erst 21, aber sehr gut gebaut, wenn du weisst, was ich meine.

Shiva ist ja der Gott der Zerstoerung und er hat meine Depression zerstoert. Das war das Beste an der Himalayabesteigung. Das Zweitbeste war der 360 Grad Rundumblick auf die achttausender Gipfel, als wir am Karfreitag oben angekommen sind. Das ist die Kaelte, den Schnee, das schlechte Essen, den Gestank und die Pfurzerei wert. Es stinken ja alle, wenn sie herunterkommen. Zuerst glaubt man, alle anderen, aber meist riecht man sich selber. Als wir wieder herunten waren, wollte mich Shiva seinen Eltern vorstellen, bevor wir heiraten oder dass ich ihn zumindest unterstuetze. Er moechte naemlich Taxifahrer werden.

Ich bin am Abend in die Jazzbar gegangen, ich will mir ja eine neue Band suchen, mit der ich singen kann. UNd tasaechlich waren da diese zwei Burschen aus Amerika, der am Bass war sogar aus New Orleans, und wir haben eine Jamsession angefangen. Und da hab ich dich reinkommen gesehen." Helen muss wieder husten und ich auch. Ich war nicht am Berg, aber am vormittag bei einem chinesischen Arzt, weil mein Husten immer wieder kommt. Er hat meinen Puls gefuehlt, meine Zunge angesehen und gesagt: zu viel Hitze. Dann hat er mir eine Infusion gegeben, ein paar Tabletten und einen Hustensaft und gesagt: eine Woche lang nichts kaltes trinken, keinen Alkohol und kein Chilli. Heute ist mein Husten schon viel besser.

Sonntag, 26. April 2009

Luftsprung

No rikhshaw, no tigerbalm, no hashish, no change money, no one rupie, no problem. Jedesmal, wenn wir in Thamel, dem Backpackerviertel in Nepals Hauptstadt Khatmandu das Guesthouse verlassen, muessen wir die gleichen Haendler abwehren. Ich bin mit Nicole, einer Australierin unterwegs, die ich am Flughafen beim Anstellen um ein nepalesisches Visum kennen gelernt habe. Beim Heimgehen um Mitternacht pfeifen oder rufen uns die nepalesischen Burschen nach: "I love your bubs" - klasser Busen - , und ein Mann, der hinter uns geht, sagt, ich dachte immer, die australischen Maenner benehmen sich Scheisse.

Nicole will zu einem Hindutempel fahren, wo Tiere geopfert werden. Wir erfragen an der Bustation die Abfahrtszeit und der Schaffner sagt, eine Stunde dreissig Minuten und da es kurz vor halb zwei ist, denke ich, er meint die Uhrzeit. Nach den ersten 500 Metern Fahrt ist klar, er meint die Fahrtdauer. Nicole sagt, es sind doch nur 20 Kilometer und ich sage, dafuer brauchen wir bestimmt zwei Stunden. Nach der Stadtgrenze und einer Stunde Fahrzeit gehts eine Bergstrasse hinauf. Ein Bus kommt uns entgegen, die Dachgalerie voller Menschen. Da weiss ich erst, was das Gepoltere ueber unseren Koepfen zu bedeuten hat: das Dach unseres Busses ist auch voll, nachdem unten bei bestem Willen niemand mehr hineingestopft werden konnte. Nach knapp zwei Stunden sind wir da und die drei Burschen, die hinter uns gesessen sind, wollen uns den TEmpel zeigen. Einer ist gerade aus Goa in Indien zurueckgekommen, wo er bereits die 5.Saison als Koch gearbeitet hat und spricht sehr gut englisch. Vom Tieropfer ist ausser dem Schlachtplatz nichts mehr zu sehen. Die Leute nehmen das Fleisch mit nach Hause, sagt er. Ich dachte immer, Hindus sind Vegetarier.

Wieder zurueck zur Busstation, damit wir den letzten Bus noch erreichen. Er kommt schon voll an und wenn wir mitfahren wollen, dann muessen wir aufs Dach hinauf. Wie soll ich da hinaufklettern, die Leiter aufs Dach hoert mit der hinteren Fensterscheibe auf. Aber ich schaffs. Oben zeigt mir der Bursch, dass er seine Flip-Flops auszieht und sich draufsetzt, damit der Hintern nicht so weh tut, wenn man auf den Galeriestaeben sitzt. Das Dach fuellt sich und ich setze mich mit dem Ruecken bergab und den Augen bergauf, damit ich nicht sehe, wie steil und eng die Strasse ist. Der Bursch neben mir drueckt mir jedesmal den Kopf hinunter, wenn wir knapp unter Aesten oder Stromkabeln durchfahren. In der hinteren Ecke sitzt ein ziemlich Betrunkener und macht in die Hose. Der Urin verteilt sich am hinteren Dach bis zu einer Querlatte, wo er nicht weiterkann, alle fluechten von dem Bereich des Dachs nach vorn, wos jetzt ziemlich eng wird. Der Schaffner steigt herauf, um von allen den Fahrpreis zu kassieren, bevor wir am Stadtrand von Kathmandu das Dach raeumen muessen.

Das Dach der Welt, das Himalayagebirge hab ich einmal beim Rueckflug aus Hongkong in der Nacht gesehen: eine dunkelbraune Masse. Beim Anflug auf Kathmandu ganz anders: weisse Schnee-oder Eisspitzen ragen aus der Wolkendecke in der gleichen Farbe, sodass ich ein paar Mal schauen muss, ob das auch wirklich Berggipfel sind. Dann der Kapitaen: Rechts im Nordosten der Mount Everest, links im Suedwesten der Annapurna, dazwischen die ganze Kette von Sieben-bis Achttausendern und weil man die heute so gut sieht, dreht er noch eine Ehrenrunde, wie mir scheint.



Nach Pokhara am Fusse der Himalayas kommen alle, um von hier ins Annapurna-Basecamp aufzubrechen. Ich nicht. Ich schaue mir die hoechsten Berge der Welt jetzt von unten an, wenn man sie sehen kann. Das ist nicht oft der Fall, nur am Morgen nach einem Gewitter. Die Biltze und der Donner ist so maechtig, wie die Berge praechtig sind. Von den niedrigeren Bergen schweben Paraglider durch die Luft. Nachdem mir immer mehr Leute erzaehlen, wie toll das ist und ich Peter kennenlerne, der Tandemfluege macht, entschliesse ich mich dazu. Wir fahren auf den Sarangkot, den Hausberg von Pokhara, etwas 1500 Meter hoch. Er breitet den Schirm aus, zieht mir meinen Rucksacksitz an, harkt mich an seinen Sitz und mit der naechsten Windboehe heisst es loslaufen Richtung Horizont. "Du darfst nicht stehenbleiben, bevor ich es dir sage, du bist wie die Spitze des Flugzeugs, wenn der Schnabel nach unten kippt, kann das Flugzeug nicht abheben." Nach fuenf Schritten ist die Absprungwiese zu Ende und ich laufe den Steilhang hinunter. Nach weiteren fuenf Schritten springe ich in die Luft, keinen Boden mehr unter den Fuessen und der Schirm traegt noch nicht, aber schon fliegen wir wie ein Vogel. Hinter uns die Berge und unter uns der See, wir steigen auf, schweben wieder hinunter, nach links und nach rechts und ich muss schreien. Peter hat ein Messgeraet und wenn es piept, bekommen wir Aufwind, einen Bergruecken entlang, bis zum naechsten, hinauf und wieder hinunter. Irgendwann bringen uns die Schleifen, die wir fliegen, der Erde immer naeher und wir landen auf einer Weide in der Naehe des Sees. Ich lege mich auf den Ruecken und schaue zum Himmel hinauf und denke mir, gerade war ich noch da oben und ich bin gluecklich.

Mittwoch, 15. April 2009

Schlafen im Tempel

Der Bus von Mandalei nach Bagan faehrt mit eineinhalb Stunden Verspaetung ab. Nach zwanzig Minuten steht er wieder, Keilriemen gerissen, wir warten auf einen neuen. Nach einer Stunde Fahrt die naechste Reparatur. Wir stehen auf einer Art Dorfplatz und eine Gruppe Kinder beobachtet uns sechs Weisse aus sicherer Entfernung. Steve, ein grossgewachsener Amerikaner moechte sich ihnen naehern. Mit lautem GEschrei rennen sie weg. Wir fahren ein Stueck zum Dorf hinaus, wieder ein Stop. Nach drei weiteren Pannen das endgueltige Aus. Jemand muss nach Bagan, den Ort, den wir ansteuern und einen Ersatzbus organisieren. Wir warten am Rand einer staubigen Landstrasse und erreichen das dreihundert Kilometer entfernte Bagan nach zwoelf Stunden. Beim Abendessen erzaehlt ein Amerikaner, dass seine Mutter geweint hat, als er ihr sagte, er wolle nach Myanmar.


Ich borge mir ein Fahrrad aus, um die Tempel, Stupas und Pagoden rund um Bagan zu erfahren. Maedchen sitzen unter Baeumen, vor ihnen ein Tisch mit einem Tastentelefon, das Kabel verschwindet irgendwo zwischen den Aesten. Manchmal telefoniert auch jemand. Andere verkaufen Benzin in Ein-Liter-PLastikflaschen fuer zwanzig oder mehr Jahre alte Toyotas oder Kia-Busse, manche rechts und manche links gesteuert. Am Dorfplatz hinter dem dritten Baum eine Wirtin. Sie hebt die Deckel der Toepfe, damit ich mir das Essen aussuchen kann. Hendl, Schweinefleisch, Schweisnhaxen oder Rindfleisch. Ich nehme Rindfleisch, es ist ein pikantes Gulasch, dazu gibts Kuerbisgemuesesuppe, Reis und fuenf verschiedenen Salate, Erdaepfel mit Erdnuessen, Paradeiser mit Gruenzeug, Sojasprossen, Melanzani und Wurzelgemuese. Nach dem Essen nehmen die Leute ein Haeferl, das an einem Nagel am Baumstamm haengt und schoepfen Wasser aus einem Tonkrug und trinken es, ohne den Rand des Haeferls zu beruehren. Was auf dem Tisch in den Schuesseln uebrigbleib, wandert wieder in die Toepfen. Ein Bauer parkt seinen Ochsenkarren im Schatten ein, dahinter ein Lastwagen, die Ladeflaeche voller Menschen, heute ist Sonntag, ein Ausfluegstag.


Der suesse Duft von bluehenden Baeumen liegt in der Luft, es ist staubig und still in der Mittagshitze. Ich fahre weiter, hinunter zum Irrawadyfluss, breites Flussbett, die Haelfte davon Sandbaenke, dann eine kleine Anhoehe hinauf. Im 360 Grad Blickfeld ein TEmpel nach dem anderen, hinter dem anderen, neben dem anderen, rot, gold, weiss, alt, neu, gross, klein, etwa 4000 insgesamt. Einen alten roten Ziegelbau aehnlich Angkor Wat in Kambodscha will ich mir naeher anschauen. Die TEmpelhaendler am Zu- und Eingang kann ich abwehren, ich finde ein ruhiges PLaetzchen. Ein Maedchen kommt und breitet eine Decke auf dem Steinboden aus. "Ich bin muede, du auch, komm, schlafen wir eine Runde." Wir legen uns nebeneinander auf die Decke und machen die Augen zu. Als wir eine halbe Stunde spaeter durch Getrampel aufgeschreckt werden und ich mich aufsetze, steht eine Gruppe von dreissig Menschen um uns herum und starrt mich an. Zuerst starre ich zurueck, dann stehe ich auf, es ist Zeit, zu gehen.


Mit dem Rad zurueck im Ort sehe ich eine Tafel, die auf eine Wahrsagerin hinweist, bleibe stehen, gehe hinein und setze mich ihr gegenueber. Eine alte Frau mit markantem Gesicht, sieht nicht sehr asiatisch aus, grauen Haaren und viel weisser Paste im GEsicht. Ein Dolmetsch sitzt neben ihr. Sie schaut meine Handflaechen an und sagt, dass viele gute Geister um mich herum sind und auf mich aufpassen, meine Familie mich liebt, ich im Ausland arbeiten und erfolgreich sein werde, dann werde ich nach Oesterreich zurueckkehren. Heuer werde ich keinen Ehemann finden, ich werde ein langes Leben haben, wenn ich heirate, werde ich ein Kind haben und spaeter wird noch ein Adoptivsohn dazukommen. "Noch Fragen?", sagt sie und zuendet sie sich eine Cheerot, eine hiesige Zigarre an. "Nein", sage ich, bedanke mich, zahle und gehe.


Die Italiener und Belgier warten auf mich, wir sind bei einem burmesischen Maedchen eingeladen, dem sie Makeup, Parfum, Lippenstift, eine Jeans und Tops geschenkt haben. Sie holt uns ab und hat Geschenke - Lackarbeiten, fuer die sie hier bekannt sind, mitgebracht. Wir gehen mit ihr am Markt vorbei eine kleine GAsse hinein, finster, am Wegrand Dreck, Hunde und Schweine. Vor einer der Huetten bleibt sie stehen, mein Haus sagt sie. Die Gartentuer ist offen, denke ich, aber es ist die Haustuer. Drinnen ein PLateau etwa einen halben Meter hoch, 3x3 Meter, ein niedriger Tisch steht drauf, wir ziehen die Flip-Flops aus, steigen hinauf und setzen uns. Dahinter in der Ecke ein etwas gleich grosses Plateau, darauf liegt jemand. "Mein Vater", sagt das Maedchen, "er hat einen schlechten Fuss."

In der Ecke links ist eine Feuerstelle. Das Essen steht schon auf dem Tisch. Es gibt Reis, gebratenes Hendl und Fisch, Teeblattsalat, Sojasprossen, Spiegeleier. Das Maedchen, ihr Mann, ihre 2 Brueder, ihre Schwaegerin, ihre Mutter, ihre Tante und ihr Sohn schauen uns beim Essen zu. Das Maedchen sitzt neben uns und ihr Sohn setzt sich zu ihr. Er ist zweieinhalb und sie still ihn. Nichten und Neffen im etwa gleichen Alter sitzen daneben. Der juengere Bruder im Moenchsgewand mit Freund, auch Moench, schaut vorbei. Hunde und Schweine schauen bei der Tuer herein, hinter uns roechelt der alte Mann. Als noch ein paar Nachbarn kommen, muessen ein paar Leute die Leiter hinauf auf den Zwischenboden, wo sonst alle schlafen, steigen, um PLatz zu machen. Wir essen gerade soviel, damit es nicht unhoeflich ist und wir trotzdem nicht das Gefuehl haben, ihnen allzuviel wegzuessen.

Am naechsten Tag will ich meinen Flug zurueck nach Rangon und von dort nach Bangkok buchen. "Heute gibts keinen Strom, kein Telefon, kein Fax und kein Internet, vielleicht spaeter", sagt der Mann, den ich gerade aufgeweckt habe. Spaeter bucht er mir tatsaechlich die gewuenschten Fluege, ich bekomme ein Fax mit einer Nummer drauf, zahle und hoffe, dass das an den Flughaefen als Ticket oder zumindest Reservierungsnummer durchgeht. Dann halte ich auf der Strasse das naechste Pferdefuhrwerk auf, setze mich hinten in den PLanenwagen und sage zum Kutscher: "Zum Flughafen bitte."




Freitag, 3. April 2009

Die Strasse nach Mandalei

Myanmar oder Birma oder Burma, wie immer man dieses Land nennt - es ist viel zu heiss hier. Um acht Uhr frueh komme ich am Flughafen in Rangon an und es hat 40 Grad, nach einer Nacht am Flughafen in Bangkok, der auf etwa 10 Grad gekuehlt ist. Ein netter TAxifahrer und Sohn bringt mich ins Hotel Beautiland 2, die Frauen gehen mit Schirmen auf der Strasse. Ich packe meinen Regenschirm aus und tue das gleiche. Ein alter Mann kommt mir entgegen, Geld wechseln?, fragt er - hier gibts keine Bankomaten. Nein, will ich sagen, ich habe schon, da zischt ein Fussball an unseren Koepfen vorbei. Ein Bub laeuft ihm nach. "Als ich jung war, habe ich das gleiche gemacht", sagt er und ich denke, in Europa kann das kein Opa mehr zu seinem Enkel sagen, Fussballspielen auf der Strasse ist vorbei.



Am Abend gehe ich in die Swedagonpagode, ein riesiges glockenfoermiges Gebilde in Gold. Ich setze mich in eine offene Saeulenhalle, vor mir treffen die letzten Sonnenstrahlen den Goldmantel und ein junger Mann stellt mir die ueblichen Fragen. Die erste ist wie immer "Woher kommst du?" und ich sage aus Oesterreich und er kennt Mozart und die Habsburger, Beethoven und Goethe. Da will ich wissen, was er macht. "Ich studiere Literaturwissenschaften", sagt er "und hab meine Diplomarbeit eingereicht, die Sommerferien haben heute begonnen". Ich will wissen, zu welchen Thema und er sagt "Neue burmesische Literatur im Vergleich" und ich denke, nichts koennte die Welt weniger interessieren.



Die zweite Frage ist immer, wie ich heisse. Ich sage Edith und er fragt, ob ich an einem Sonntag geboren bin und ich sage fast, 30 Minuten nach Mitternacht. Und er sagt, hier in Myanmar werden Kinder, die an einem Sonntag geboren sind, auf einen Namen getauft, der mit a,e,i,o,u anfaengt und wenn man an einem Montag geboren ist, bekommt man einen Namen, der mit k, ke, g, ga, nye anfaengt und er weiss auch, dass diese Buchstaben fuer einen Europaeer keinen grossen Unterschied machen. Ich frage nach seinem Namen und er sagt Nyein Moe, das heisst friedlicher Himmel oder Regen. Ich sage: "Also bist du auch an einem Montag geboren?" "Nein", sagt er, "mein Vater war Kommunist und hat nicht an diese Sachen geglaubt. Ihm hat der Name gefallen."


Eine Kehrbrigarde rueckt immer naeher und kehrt den Platz, jede Person hat in jeder Hand einen Besen. Zuerst eine Reihe Frauen, dann eine Reihe Maenner, dann eine Reihe mit Mistaufkehrern. "Heute ist Freitag, heute kehren die, die an einem Freitag geboren sind. Der Putzdienst ist Ehrensache, so kommen Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammen, Arbeiter, Aerzte, Lehrer, Beamte und Bauern", erklaert mir mein Student. Obwohl hier niemand Schuhe tragen darf, ist es doch ganz schoen staubig. "Und die dort drueben mit dem Wasser, putzen die auch?", frage ich. "Nein, jeder betet bei seinem Geburtstagsbuddha und da gehoert dazu, dass man ihn mit Wasser uebergiesst. Wir koennen zu deinem Montagsbuddha gehen, er steht im Osten, ist dem Mond zugeordnet und wird von einem Tiger bewacht." Wir gehen hin. "Du musst so viele Schalen Wasser ueber ihn giessen, wie alt du bist." Das mach ich.


Wo ich in Myanmar noch hin will, will er wissen. Mandalei, Bagan und Inlesee, sage ich. Da ist es noch heisser als hier, sagt er, nur am Inlesee ist es kuehler, weil der etwas hoeher liegt. In der Nacht tropft mir der Schweiss beim Liegen in den Nacken und erst gegen morgen wirds etwas kuehler, da schreit auch schon der Muezzin von der nahen Moschee "Allah akba" - Gott ist gross. Ich buche einen Flug an den Inlesee. Am Abend gehe ich wieder in die Pagode und setze mich an die gleiche Stelle. Neben mir sitzt eine Familie: Grosseltern, Eltern, Kleinkind. Als das Kind in die Hose macht( die Kinder tragen keine Windeln), gehen sie . Dann kommt eine etwa 40-jaehrige Frau mit Halskette und Ohrringen, nimmt eine Art Rosenkranz aus der Tasche und beginnt mit lautem Gemurmel zu beten. Etwas spaeter eine aeltere, breitet eine Decke aus, setzt sich drauf und macht das gleiche, ist bestimmt die Mutter. Dazwischen laeutet immer wieder das Handy und das ist hier noch eine Seltenheit. Die Aeltere schaut ganz streng, wenn die Juengere nicht sofort abhebt.


Als es dunkel wird, gehe ich auf den hinteren PLatz, von dort kann man die Edelstein besetzte Spitze der Pagode funkeln sehen. Mein Student kommt mir entgegen, mit ihm ein buddhistischer Moench. Wir gehen hinunter in eine Teestube zum Reden und dann moechte der Moench mein Geburtsdatum wissen. Er kalkuliert mit den Zahlen und und dann sagt er: Ich bin eine geborene Chefin, meine Geschwister, Freunde und Kollegen hoeren auf mich, ich bin ruhig, denke logisch, ueberlege sehr sorgfaeltig und brauche deshalb laenger als andere, um eine Entscheidung zu treffen. In der Ehe habe ich kein Glueck, aber ab 52 wirds besser. Am besten passt ein Mann zu mir, der an einem Donnerstag geboren ist, am zweitbesten Dienstag, am schlechtesten Freitag. Mit meinen Eltern habe ich mich nicht gut verstanden bis ich 19 war. Verkauf oder Handel ist der beste Job fuer mich, besonders mit Gold, heller KLeidung und Elektrik. Ich wiederhole: Gold, Kleidung oder Elektrik. Nein, sagt er, Gold, heller Kleidung und Elektrik. Es ist besser, wenn ich an einem Ort lebe, der weit weg ist von meinem Geburtsort oder Land und einen Mann heirate, der von weit weg ist. Die letzten vier Monate des Jahre muss ich auf meine Gesundheit aufpassen, besonders auf den Kopf und das Hirn, es gibt Blut im Kopf, ein Unfall. "Was kann ich tun?", frage ich. "Ganz einfach", sagt er. Bestimmte Blueten und Blaetter unter den Kopfpolster legen und wir gehen nochmals in die Pagode, wo ich die Blumen kaufe und der Moench die Blaetter von einem Baum im Garten holt.


Vom Inlesee fuehrt ein Seitenarm durch den Ort Ngwe Shwang, die Boote tuckern wie frueher die TRaktoren. In dem Kanal haben bis zu 5 Boote nebeneinander PLatz, links und rechts wird ein- und ausgeladen, gehandelt, getratscht und dazwischen fuer ankommende oder durchfahrende Boote PLatz gemacht. An der Strasse daneben wird gerade ein Haus gebaut. Die Grundpfeiler aus Holz, der Fussboden etwa einen halben Meter ueber dem Boden, die Waende aus einem Bambusgeflecht und das Dach aus Stroh. Zehn Handwerker mit ihren Helfern haemmern und saegen, zwischen zwoelf und ein Uhr ist Mittagspause. Die Frauen tragen weisse Paste im Gesicht. Es ist das zu Pulver vermahlene Holz des Thanakhabaumes, schuetzt gegen Sonne und kuehlt die Haut. Nachmittags gehen junge Nonnen von einem Haus zum anderen und bekommen jedes Mal einen Loeffel REis in ihre Schuessel. Wenn es Strom gibt, plaerrt irgendwo ein RAdio oder alle sitzen vor einem Fernseher. Am See stehen die Maenner auf den schmalen langen Booten, rudern mit einem Bein und werfen ihre Netze aus. Zwischen See und Land schwimmen Gaerten, wo Paradeiser, Kraut und Erdaepfel wachsen. Die Haeuser stehen auf Stelzen, Wasserbueffel grasen zum Festland hin und am Abend werden sie gebadet. Wenn es finster ist, zuenden die Leute Kerzen an und alle paar Ecken sitzen Burschen zusammen, einer spielt Gitarre und sie singen die heimische Hitparade rauf und runter.




Ich gehe in den Ort und bestelle in einem Kaffeehaus schwarzen Kaffee, er kommt mit Zitrone. Schmeckt erfrischend. Am Abend treffe ich die Leute wieder, die ich bei der Bootsfahrt kennengelernt habe. Rachel und Enzo aus Italien, die in Caterbury eine Baeckerei haben, sind schon fertig. "Belgien duscht nocht", sagen sie. Mit Jurie und Gret aus Belgien gehen wir dann essen und am naechsten Tag gehts weiter nach Mandalei. Warum der Name dieses Ortes so einen magischen KLang hat, kann ich nicht feststellen. Etwas ausserhalb auf dem Huegel Sagain wieder viele Pagoden voller Gold und am Ufer des Irrawadyflusses eine Huette neben der anderen. "Wenn Regenzeit ist und der Wasserpegel ansteigt, werden die Huetten weggeschwemmt und die Menschen uebersiedeln auf die hoeher gelegene Strasse", sagt mein Fahrer. "Die Pagoden auf den Huegeln sind fuer die Moenche und Nonnen da."