toent das Mantra als Willkommensgruss aus allen CD-Laeden Kathmandus, als ich dort ankomme. Auf dem Weg zum Guesthouse treffe ich ein paar alte Bekannte, die mich begruessen: zuerst Helen, die Jazzsaengerin, die jetzt hier im Jazzclub singt und mich zu ihrem heutigen Abend einlaedt, Justin, der die letzten Shots fuer sein Musikvideo dreht und am Abend auch kommen wird, Vanessa, die von ihrer Everest-Basecamptour zurueck ist und Hassana und ihr Freund, die in der Zwischenzeit in Tibet waren und meinen, da muesste ich auch hinfahren.
Ich gehe vom Hauptplatz mit den mittelalterlichen Gebaueden am Palast der Kumari, der lebenden Goettin von Kathmandu, vorbei. Ein Maedchen ab vier muss ueber hundert Merkmale erfuellen, die sie zu einer Goettin auf Zeit machen. Sobald sie die erste Regel hat oder sonst wie blutet, wird eine neue gesucht und aus der Goettin wird eine normale Frau, so wie im wirklichen Leben aus jeder Prinzessin einmal eine gewoehnliche Sterbliche wird. Ihre Aufgabe war es, jedes Jahr dem Koenig ihren Segen zu geben. Dem vorletzten Koenig hat die Kumari den Segen verweigert. Im darauf folgenden Jahr hat der Koenigssohn und Thronfolger fast die gesamte Familie erschossen, was zwar alle getroffen, aber niemanden wirklich verwundert hat. Viele Buecher wurden darueber geschrieben, was denn der Grund fuer die Wahnsinnstat gewesen sei: er durfte die Frau, die er liebte, nicht heiraten, er hatte zuviel Drogen und Alkohol konsumiert, die Sadhus aus Indien waren gekommen und hatten ein Komplott geschmiedet oder die CIA. Fuer die Nepalesen war klar: Ohne den Segen der Kumari kein Koenig. Nach dem Tod des alten, sehr beliebten Koenigs wurde ein Neffe als Thronfolger eingesetzt, aber kurz darauf uebernehmen die Marxisten das Ruder. Welche Aufgabe die Kumari jetzt hat, weiss ich nicht. Die Marxisten feiern jedenfalls den Untergang des kapitalistischen Systems unter dem Motto: wir haben es schon immer gewusst (gemeinsam mit Kuba und Nordkorea).
Der Marxismus funktioniert auch nicht, taeglich gibt es Streiks. Jetzt streiken gerade die Busfahrer fuer mehr Strom, versammeln sich im Fussballstadion neben dem Busbahnhof und es herrscht sowas wie Volksfeststimmung. Die Stromversorgung ist auf 12 Stunden taeglich beschraenkt, im neuen Jahr, es faengt gerade 2066 an, sollen es mehr werden. Punkt acht Uhr abends geht das Licht aus. Um drei Uhr nachts ist der Strom oft wieder da, aber wer braucht ihn da ausser zum Handy-Aufladen? Manchmal kommt er auch frueher, vor der Sperrstunde um elf, denn es herrscht Ausgangssperre. Wenn das Licht in den Lokalen wieder angeht, tippen sich die Menschen mit der Hand auf Brust, Mund und Stirn, was so viel heisst wie den Goettern seis gedankt. In Myanmar waren die Menschen der Ansicht, wenn uns die Regierung keinen Strom schickt, dann starten wir unsere eigenen Dieselgeneratoren an. In Nepal schicken die Goetter den Strom, und wenn er nicht aus der Steckdose kommt, dann starten sie hier wie dort die lauten und stinkenden Generatoren an.
Alkohol und Haschisch gabs und gibts genug. Nepal heisst auch: never ending peace and love. Das haben die Hippies in den siebziger Jahren erfunden, als sie sich hier angesiedelt haben. Die Nepalesen haben eine Strasse nach ihnen benannt: Freakstreet, lauter Freaks in den Augen der Einheimischen. Ein paar sind noch immer da, aber viel mehr aus einer neuen Generation.
Die machen jetzt Volunteering oder Voluntourismus. Man kommt nicht mehr einfach in ein Land, sondern man kommt, um zu helfen. Bis man draufkommt, so funktioniert das nicht, man kann nicht in ein paar Stunden das Land, das Kinderheim oder sonstwas "verbessern". Man kann nur fuer sich selber etwas lernen, naemlich dass oder wie Dinge anders funktionieren koennen oder muessen als gewohnt.
Tara, eine blonde Deutsche mit Rastazoepfen bis zum Popo ist auch hier, um zu helfen. Jeden Abend haelt sie Hof in der Full Moon Bar. Lange hat sie in Goa gelebt und damals Stella geheissen. Dann kam sie nach Varanasi und ist den Leprakranken begegnet, die ihr geholfen haben, als sie kotzend auf den Stufen der Burning Ghats gesessen ist. Das hat ihr Herz beruehrt und sie hat ein Kinderheim fuer Leprakinder gegruendet. Dazwischen hat sie einen Sohn bekommen, der ist jetzt etwa zehn und haengt jeden Abend mit ihr in der Bar herum, bis er gegen Mitternacht in einer Ecke einschlaeft. Wenn sie zwischen zwei und drei gehen will, weckt sie ihn auf. Die Leprakinder machen so viel Arbeit, vor allem das Spenden sammeln und mehr noch das verteilen, dass ihr Kind sie meiste Zeit bei einer Pflegefamilie in Goa lebt. Fuer das Leprakinderheim ist sie vor ein paar Jahren als Frau des Jahres ausgezeichnet worden.
Damit ich nicht extra nach Varanasi fahren muss, schaue ich mir die Burning Ghats hier an, ausserhalb Kathmandus, wo die Toten am Flussufer verbrannt werden. Ein Scheiterhaufen neben dem anderen, manchmal schaut eine Hand heraus. Einer ist damit beschaeftigt, die Leichen am Brennen zu halten. Es raucht und stinkt und ich bin schnell wieder weg hinueber zur buddhistischen Stupa, wo die Menschen in der (Abend)Daemmerung mit einer Perlenschnur in der Hand - die bei uns als Rosenkranz angekommen ist - den Tempel umrunden und dabei tratschen und beten. Die meisten gehen nach Hause, als der Mond aufgeht und ich kann zuschauen, er innerhalb von fuenf Minuten in voller Groesse am Himmel erscheint. Die Haeuser der Tibeter sind neu und gross und schoen, auch die in den Fluechtlingslagern. Muessen tuechtige Menschen sein oder viele Unterstuetzer in der Welt haben. Sie haben ja auch eine gute PR, allen voran den Dalai Lama.
Die hinduistischen Goetter und Goettinnen haben keine Tempel, sie sind ueberall. Heilige Steine, rot markiert, heilige PLaetze, heilige Statuen, alle paar Meter gibt es etwas zum Stehenbleiben, Beruehren und den Segen abholen. Wenn man ehrfuerchtig verweilt hat, lauetet man eine Glocke und macht sich einen roten Punkt auf die Stirn. Die alten Haeuser haben kleine Fenstern, unten sind Werkstaetten oder Geschaefte, oben schaut manchmal jemand heraus. Eine kleine Gasse, kaum breit genug zum Durchgehen, fuehrt zu einem kleinen PLatz, ein- bis zweistoeckige Haueser auf jeder Seite, Huehner, Kuehe, Hunde und in der Mitte wieder ein heiliger Stein. Kinder spielen, Frauen sitzen und schnipseln Gemuese, eine Gruppe Burschen mit geschnitzten Masken ueber dem GEsicht machen einen Kreistanz. Der in der Mitte hat ein Beil in der Hand, um ihn herum, zu ihm hin und von ihm weg bewegen sich die anderen Gestalten. In der Ecke sitzt einer mit einem gitarreaehnlichen Instrument und macht die Musik dazu.
Es ist wie Mittelalter: alle Frauen haben das gleiche an, fahrende Spielleute sorgen fuer Unterhaltung, Kerzen sorgen fuer Licht und das Wasser kommt, wenn ueberhaupt, braun aus der Leitung. Der Mist wird einfach auf die Strasse geschmissen. Entweder fressen ihn die Kuehe, die Hunde, die Katzen, die HUehner oder in der Nacht die Ratten. Als ich in der Nacht nach Hause komme, kraxelt ueber meinem weiss bezogenen Polster im Bett gerade eine Kakerlake. Gestern hat mir mein Hotelbesitzer erzaehlt, er arbeitet daran, im Lonely PLanet aufgelistet zu werden.