Freitag, 29. Mai 2009

Om Mane Padme Hum


toent das Mantra als Willkommensgruss aus allen CD-Laeden Kathmandus, als ich dort ankomme. Auf dem Weg zum Guesthouse treffe ich ein paar alte Bekannte, die mich begruessen: zuerst Helen, die Jazzsaengerin, die jetzt hier im Jazzclub singt und mich zu ihrem heutigen Abend einlaedt, Justin, der die letzten Shots fuer sein Musikvideo dreht und am Abend auch kommen wird, Vanessa, die von ihrer Everest-Basecamptour zurueck ist und Hassana und ihr Freund, die in der Zwischenzeit in Tibet waren und meinen, da muesste ich auch hinfahren.

Ich gehe vom Hauptplatz mit den mittelalterlichen Gebaueden am Palast der Kumari, der lebenden Goettin von Kathmandu, vorbei. Ein Maedchen ab vier muss ueber hundert Merkmale erfuellen, die sie zu einer Goettin auf Zeit machen. Sobald sie die erste Regel hat oder sonst wie blutet, wird eine neue gesucht und aus der Goettin wird eine normale Frau, so wie im wirklichen Leben aus jeder Prinzessin einmal eine gewoehnliche Sterbliche wird. Ihre Aufgabe war es, jedes Jahr dem Koenig ihren Segen zu geben. Dem vorletzten Koenig hat die Kumari den Segen verweigert. Im darauf folgenden Jahr hat der Koenigssohn und Thronfolger fast die gesamte Familie erschossen, was zwar alle getroffen, aber niemanden wirklich verwundert hat. Viele Buecher wurden darueber geschrieben, was denn der Grund fuer die Wahnsinnstat gewesen sei: er durfte die Frau, die er liebte, nicht heiraten, er hatte zuviel Drogen und Alkohol konsumiert, die Sadhus aus Indien waren gekommen und hatten ein Komplott geschmiedet oder die CIA. Fuer die Nepalesen war klar: Ohne den Segen der Kumari kein Koenig. Nach dem Tod des alten, sehr beliebten Koenigs wurde ein Neffe als Thronfolger eingesetzt, aber kurz darauf uebernehmen die Marxisten das Ruder. Welche Aufgabe die Kumari jetzt hat, weiss ich nicht. Die Marxisten feiern jedenfalls den Untergang des kapitalistischen Systems unter dem Motto: wir haben es schon immer gewusst (gemeinsam mit Kuba und Nordkorea).

Der Marxismus funktioniert auch nicht, taeglich gibt es Streiks. Jetzt streiken gerade die Busfahrer fuer mehr Strom, versammeln sich im Fussballstadion neben dem Busbahnhof und es herrscht sowas wie Volksfeststimmung. Die Stromversorgung ist auf 12 Stunden taeglich beschraenkt, im neuen Jahr, es faengt gerade 2066 an, sollen es mehr werden. Punkt acht Uhr abends geht das Licht aus. Um drei Uhr nachts ist der Strom oft wieder da, aber wer braucht ihn da ausser zum Handy-Aufladen? Manchmal kommt er auch frueher, vor der Sperrstunde um elf, denn es herrscht Ausgangssperre. Wenn das Licht in den Lokalen wieder angeht, tippen sich die Menschen mit der Hand auf Brust, Mund und Stirn, was so viel heisst wie den Goettern seis gedankt. In Myanmar waren die Menschen der Ansicht, wenn uns die Regierung keinen Strom schickt, dann starten wir unsere eigenen Dieselgeneratoren an. In Nepal schicken die Goetter den Strom, und wenn er nicht aus der Steckdose kommt, dann starten sie hier wie dort die lauten und stinkenden Generatoren an.

Alkohol und Haschisch gabs und gibts genug. Nepal heisst auch: never ending peace and love. Das haben die Hippies in den siebziger Jahren erfunden, als sie sich hier angesiedelt haben. Die Nepalesen haben eine Strasse nach ihnen benannt: Freakstreet, lauter Freaks in den Augen der Einheimischen. Ein paar sind noch immer da, aber viel mehr aus einer neuen Generation.
Die machen jetzt Volunteering oder Voluntourismus. Man kommt nicht mehr einfach in ein Land, sondern man kommt, um zu helfen. Bis man draufkommt, so funktioniert das nicht, man kann nicht in ein paar Stunden das Land, das Kinderheim oder sonstwas "verbessern". Man kann nur fuer sich selber etwas lernen, naemlich dass oder wie Dinge anders funktionieren koennen oder muessen als gewohnt.

Tara, eine blonde Deutsche mit Rastazoepfen bis zum Popo ist auch hier, um zu helfen. Jeden Abend haelt sie Hof in der Full Moon Bar. Lange hat sie in Goa gelebt und damals Stella geheissen. Dann kam sie nach Varanasi und ist den Leprakranken begegnet, die ihr geholfen haben, als sie kotzend auf den Stufen der Burning Ghats gesessen ist. Das hat ihr Herz beruehrt und sie hat ein Kinderheim fuer Leprakinder gegruendet. Dazwischen hat sie einen Sohn bekommen, der ist jetzt etwa zehn und haengt jeden Abend mit ihr in der Bar herum, bis er gegen Mitternacht in einer Ecke einschlaeft. Wenn sie zwischen zwei und drei gehen will, weckt sie ihn auf. Die Leprakinder machen so viel Arbeit, vor allem das Spenden sammeln und mehr noch das verteilen, dass ihr Kind sie meiste Zeit bei einer Pflegefamilie in Goa lebt. Fuer das Leprakinderheim ist sie vor ein paar Jahren als Frau des Jahres ausgezeichnet worden.

Damit ich nicht extra nach Varanasi fahren muss, schaue ich mir die Burning Ghats hier an, ausserhalb Kathmandus, wo die Toten am Flussufer verbrannt werden. Ein Scheiterhaufen neben dem anderen, manchmal schaut eine Hand heraus. Einer ist damit beschaeftigt, die Leichen am Brennen zu halten. Es raucht und stinkt und ich bin schnell wieder weg hinueber zur buddhistischen Stupa, wo die Menschen in der (Abend)Daemmerung mit einer Perlenschnur in der Hand - die bei uns als Rosenkranz angekommen ist - den Tempel umrunden und dabei tratschen und beten. Die meisten gehen nach Hause, als der Mond aufgeht und ich kann zuschauen, er innerhalb von fuenf Minuten in voller Groesse am Himmel erscheint. Die Haeuser der Tibeter sind neu und gross und schoen, auch die in den Fluechtlingslagern. Muessen tuechtige Menschen sein oder viele Unterstuetzer in der Welt haben. Sie haben ja auch eine gute PR, allen voran den Dalai Lama.

Die hinduistischen Goetter und Goettinnen haben keine Tempel, sie sind ueberall. Heilige Steine, rot markiert, heilige PLaetze, heilige Statuen, alle paar Meter gibt es etwas zum Stehenbleiben, Beruehren und den Segen abholen. Wenn man ehrfuerchtig verweilt hat, lauetet man eine Glocke und macht sich einen roten Punkt auf die Stirn. Die alten Haeuser haben kleine Fenstern, unten sind Werkstaetten oder Geschaefte, oben schaut manchmal jemand heraus. Eine kleine Gasse, kaum breit genug zum Durchgehen, fuehrt zu einem kleinen PLatz, ein- bis zweistoeckige Haueser auf jeder Seite, Huehner, Kuehe, Hunde und in der Mitte wieder ein heiliger Stein. Kinder spielen, Frauen sitzen und schnipseln Gemuese, eine Gruppe Burschen mit geschnitzten Masken ueber dem GEsicht machen einen Kreistanz. Der in der Mitte hat ein Beil in der Hand, um ihn herum, zu ihm hin und von ihm weg bewegen sich die anderen Gestalten. In der Ecke sitzt einer mit einem gitarreaehnlichen Instrument und macht die Musik dazu.

Es ist wie Mittelalter: alle Frauen haben das gleiche an, fahrende Spielleute sorgen fuer Unterhaltung, Kerzen sorgen fuer Licht und das Wasser kommt, wenn ueberhaupt, braun aus der Leitung. Der Mist wird einfach auf die Strasse geschmissen. Entweder fressen ihn die Kuehe, die Hunde, die Katzen, die HUehner oder in der Nacht die Ratten. Als ich in der Nacht nach Hause komme, kraxelt ueber meinem weiss bezogenen Polster im Bett gerade eine Kakerlake. Gestern hat mir mein Hotelbesitzer erzaehlt, er arbeitet daran, im Lonely PLanet aufgelistet zu werden.


Donnerstag, 14. Mai 2009

Bei den Schamanen

"Ich fahre am Freitag nach Kathmandu zurueck und bleib auf dem Weg eine Nacht bei einem Schamanen. Moechtest du mitkommen?", fragt Rolf. Er ist Deutscher und Journalist und lebt seit zwei Jahren in Nepal, berichtet von hier und betreut Entwicklungshilfeprojekte. Ich moechte mitkommen. Am Freitag zu fahren schaffen wir nicht, weil wir am Abend mit einer Runde aus England, Schottland, Ireland, Belgien, Holland und Amerika bis vier Uhr frueh in der Bluesbar meinen Paraglidingflug feiern. Wahrscheinlich waeren wir sonst auch nicht frueher gegangen. Wir fahren am Samstag frueh mit dem Bus. Um drei Uhr nachmittags steigen wir kurz vor Kathmandu aus. Der Schamane hat zwei stattliche Haeuser nebeneinander, ist 76 und heisst Mohan. "Heute frueh haettet ihr kommen sollen, da hatten wir ein grosses Fest zu Ehren der Ahnengeister. Es ist Maivollmond und da wird fuer die Ahnen getrommelt, getanzt und gesungen", sagt er und schlaegt auf die grosse TRommel im Zeremonienraum, dass ich zusammenzucke. Befreundete Schamanen, die meisten davon Frauen, sitzen erschoepft im Hof. Eine Gruppe von Schuelern aus dem Westen ist auch da. "Ich verstehe nicht, wie wir das versaeumen konnten", sage ich zu Rolf. "Hab ich doch nicht gewusst ", sagt er.

"Vom Maivollmond bis zum Augustvollmond sind die Goetter auf Urlaub, dann gibts wieder ein grossen Fest", sagt Mohan. Er zeigt mir den Altarraum und ich bleibe sitzen vor einer Wand voller Masken. Eine aeltere Frau, eine Juengere und ein Mann kommen herein. Dann eine Schamanin. Die aeltere Frau setzt sich vor die Altarwand, die Schamanin zuendet eine Kerze und Raeucherstaebchen an, dann stellt sie sich vor die Frau, den Ruecken zum Altar, die Raeucherstaebchen in der Hand, Reiskoerner in der anderen. Sie beginnt, Mantras zu singen, die Raeucherstaebchen ueber den Kopf und die Schultern der Frau zu schwingen und am Ende jedes Mantras ein paar Reiskoerner Richtung Altar zu werfen. Dann das gleiche ohne Pause wieder, die Augen geschlossen und nach einer Weile Singsang faengt sie zu schlottern und zu huepfen an. Eine Energie ist aus dem Koerper der Frau herausgestiegen, wurde von ihr freigelassen. Sie streicht der Frau ueber den Kopf und die Schultern, ohne sie zu beruehren. Das macht sie ein paar Mal, dann kommt der Mann dran mit der gleichen Zeremonie. Die Frauen tratschen einstweilen und niemanden stoert es, dass ich dabeisitze.

Wieder draussen im Garten fragt mich ein Schamane, ob er mich checken soll. "Warum nicht", sage ich. Mohan, der Chefschamane, sagt, du solltest besser darueber schlafen und morgen frueh entscheiden, ob du das wirklich willst. Rolf und ich uebernachten hier so wie die vier Schamanenschueler, die am naechsten Tag zur Ausbildung in die Berge aufbrechen. Nach dem Fruehstueck sitze ich dem Schamenen gegenueber, der an jeder Hand meinen Puls fuehlt. Dann gehen wir in den Altarraum mit einem von Mohans Soehnen, der uebersetzt. "Was ist dein Problem?", fragt der Schamane. "Ich habe bestimmt hundert Probleme", sage ich. "Wo soll ich anfangen?", sage ich. "Woran dankst du?", fragt er. "Seit ich hier bin, denke ich an meine Grossmama. Es ist der Tag vor dem Muttertag und da ist sie gestorben. Der Schamane sagt: "Ueber sie musst du dir keine Gedanken machen, sie ist ein einer besseren Welt und begleitet als Schutzgeist dich und die ganze Familie. Es geht ihr gut. Da gibt es kein Problem", und ich muss weinen vor Freude. "Die andere Sache ist, du verlierst seit fuenf oder sechs Monaten Energie. Ist irgendwas passiert?" "Ich bin seit fuenf Monaten unterwegs. Seit ich reise, werde ich von meinem Exmann im Traum heimgesucht. Letzte Nacht war er wieder da und ich wache mueder auf, als ich schlafen gehe." "Was hast du noch mit ihm zu tun?"'fragt er. "Gar nichts, ausser dass er mir noch immer Geld schuldet und das will ich haben", sage ich. "Das spuert er wahrscheinlich und deine Erdenergie ist im Moment schwach, da kann er dich leicht angreifen, das kostet dich Energie. Es ist eine Spirale nach unten. Wir koennen das stoppen, wir machen eine Zeremonie." Wir vereinbaren, ich komme am naechsten Abend mit Rolf wieder, denn morgen muss ich mir mein indisches Visum abholen und am Freitag muss ich aus Nepal draussen sein, da mein nepalisches Visum ablauft.

Als wir Montag abend bei Mohan ankommen, ist es schon dunkel. "Wir machen die Zeremonie morgen, denn ein Teil muss im Freiem unter der Sonne stattfinden", sagt Mohan. Rolf und ich setzen uns auf den Balkon und schauen dem Gewitter zu, trinken Bier und hausgebrannten Schnaps. Blitze ueber dem ganzen Himmel, die unter die Haut gehen und gewaltige Donnerschlaege, dann heftiger Regen, die Vorboten des Monsoon, der in einem MOnat beginnen wird. Am naechsten Morgen faehrt Rolf nach Pokhara zurueck, wir verabschieden uns. In der Frueh geht Mohan mit mir in den Altarraum. "Mit den Ahnen deiner Mutter ist alles in Ordnung. Auf der Seite deines Vater gibt es ein Problem. Ein maennlicher Vorfahre ist gewaltsam gestorben, ein Mord, ein Unfall, welche Gewalt weiss ich nicht, es kann lange her sein, wir schauen immer sieben Generationen zurueck. Der irrt jetzt verloren umher, aber wir koennen ihn durch Opfer beruehigen. Und du muss an deinen Exmann denken, er soll kommen und dir das Geld geben, du musst ihn anrufen, es sagen. Pavrati, die Schamanin, wird die Zeremonie machen. Zuerst herinnen und dann draussen, es wird etwa eine Stunde dauern."

Pavrati kenne ich schon, sie ist eine etwa sechzigjaehrige Frau mit langem Zopf, zerfurchtem Gesicht und guetigen Augen. Die Zeremonie ist genauso, wie sie sie gestern gemacht hat. Ich schliesse die Augen und nach einer Weile Singsang spuere ich, wie eine Energie aus mir raus steigt, fange zu zittern an, oeffne die Augen und Pavrati schlottert und huepft vor mir. Ein paar Sekunden spaeter legt sie beruhigend ihre Haende ueber meinen Kopf. Das wiederholt sie einige Male drinnen. Ein paar Mal muss ich weinen, dann draussen vor einem kleinen blumengeschmueckten Altarplatz, ich sitze davor auf einem Sessel. Dann muss ich aufstehen, ein Stueck weiter hinten in der Sonne und neben einer Raeucherschale stehen. Immer wieder kommen Traenen. Der letzte Geist ist besonders hartnaeckig. Pavrati nimmt einen Besen und kehrt ihn weg von meinen Schultern, dem Bauch, dem Ruecken, zwischen den Beinen und von den Fuessen. Es schuettelt und beutelt mich hin und her, aber dann ist er weg. Mohan kommt mit einem geschnitzten Stab und beruehrt die sieben Chakren. "Ein Teil von dir hat geschlafen und wenn die Seele schlaeft, ist man immer muede. Jetzt haben wir sie aufgeweckt und alles wird gut", sagt Mohan und bringt mir einen Tee. Etwas spaeter kommt Pavrati wieder. Jetzt hat sie einen Sari an und schaut aus wie eine normale Inderin. Wir fahren gemeinsam im Rikshaw-Kleinbus nach Kathmandu. Ich bin ziemlich erschoepft. In der Nacht schlafe ich gut und am naechsten Tag habe ich einen Zahnarzttermin, weil seit einer Weile ein Zahn wackelt. Als ich im Zahnarztsessel sitze und der Zahnaerztin den wackeligen Zahn zeigen will, wackelt er nicht mehr.