Dienstag, 20. Januar 2009

Chariot

Von Hampi nach Gokarna muss ich einmal umsteigen und am Abend zwei Stunden warten. Im REstaurant, das mir empfohlen wurde, nur Maenner. Ich frage den Empfangschef, ob hier keine Frauen zugelassen sind. Doch, sagt er, und deutet auf einen Tisch. Ich frage die beiden, ob sie auch auf den Nachtzug warten und wir essen gemeinsam. Die jungen Frauen sind aus London, eine mit brasilianischen und eine mit indischen Wurzeln. Im Schlafwagen sind wir nicht im gleichen Abtei, mein Nachbar schnarcht.









Die Hauptstrasse von Gokarna ist asphaltiert und fuehrt bis an den Strand. Links und rechts zwischen Strasse und Haeuser eine schmale Grabenrinne voll mit Dreck. Ich nehme ein Zimmer in einem Guesthouse und frage den Wirt, ob ich frische Bettwaesche haben kann. Die ist schon frisch, sagt er. Ich gehe mir den Ort anschauen und treffe Nicholas, einen Franzosen, den ich aus Goa kenne. Er ist schon ein paar Tage da und in einem besseren Guesthouse, da ziehe ich auch ein. Dann wieder Richtung Strand. Frauen in Seidensaris mit frischen Blumen im Haar gehen barfuss. Ich stosse fast mit einem Radfahrer zusammen, der einem Auto ausweicht, das einer Kuh ausweicht. Die Kuehe sind klein und schmal und eine schnappt sich ein Bueschel von dem Gruenzeug, das Marktfrauen zum Verkaufen ausgelegt haben. Die Frauen verjagen sie zornig. Wenn eine Kuh einen dicken Bauch hat, dann ist sie entweder traechtig oder hat zu viele PLastiksackerl gefressen.









Aus einem Haus kommt eine Frau und putzt die Essensreste aus dem Reindl in den trockenen Rinnsal. Zwei Maenner heben einen duennen Baumstamm, der als Balken dienen soll, zwischen Strommasten und Draehten ueber die Strasse hinauf von einem Hausdach zum anderen und binden ihn oben mit einem Strick fest. Bettler halten die Hand auf und bekommen Muenzen. In der Nacht klaeffen die Hunde und in der Frueh hoere ich, wie sich meine Nachbarn waschen. Ein Kuebel wird mit Wasser angefuellt und mit einem Becher schuettet man sich das Wasser dann ueber Kopf, Gesicht, Hals, Schultern, Koerper, Beine, Arme und Fuesse. Danach versuchen sie minutenlang, den Schleim aus sich herauszuwuergen.









Der Weg zum schoenen Strand fuehrt ueber eine Huegel, ausgedoerrten Wiesen, einer Yogafarm und einer Hoehle, in der ein Guru wohnt. Von den Klippen ganz oben kann man aufs Meer sehen. Duenne Maenner tragen zwei volle Getraenkekisten uebereinander auf dem Kopf fuer die paar Leute aus dem Westen, die unten in der Bucht in ein paar Huetten wohnen. Wahrscheinlich so wie Goa frueher, jetzt gibts in und neben den Huetten highspeed Internet. Bevor es dunkel wird, gehen wir wieder zurueck in den Ort und dort essen ins Laxmirestaurant, einem Touristenlokal. Ich sitze mit Nicholas und Saha, einem Israeli. Die Burschen essen schon, meins kommt etwas spaeter. Da sagt Saha, dort hab ich gerade eine Ratte gesehen. Meine Fuesse sind schlagartig auf der Bank, den Bissen im Mund spucke ich aus, ich will weg von hier. Nicholas sagt, ich hab vorher auch schon eine gesehen, aber ich wollte nichts sagen. Die Burschen essen auf, ich lasse meins einpacken und schenke es spaeter einem bettelnden Kind.









Immer mehr indische Touristen die meisten davon Wallfahrer stroemen in den Ort, aus neunsitzigen Autos steigen 18 Personen aus und scheissen auf den Strand. Aus den Tempeln kommen die Priester, ein kleiner ueberdachter Altar auf zwei Stangen wird von vier Maennern auf den Schultern getragen. Die Menschen stellen sich an um den Segen, opfern eine Kokosnuss und bekommen eine Kerze mit einer Fackel angezuendet. Nach der kleinen Prozession gehen alle zum grossen Triumpfwagen, dem Chariot. Die vier Raeder links und rechts sind mannshohe Holzscheiben, dazwischen ein quadratischer Kasten aus Holz mit Schnitzereien, darauf ein Aufbau, der nach oben breiter wird. Eine Holzleiter wird zum Eingang des achteckigen Hausaufbaus gelehnt, dessen Waende abwechselnd offen oder eine grosse bemalte TAfel sind. Zehn Priester und Ministranten steigen hinauf. Ueber dem Haus ist ein kugelfoermiges GEbilde mit weissen und roten Faehnchen geschmueckt, die im Wind flackern. Unten ziehen zwanzig Burschen auf der linken und auf der rechten Seite mit einem Strick den Chariot die Strasse entlang. Vorne Musik, hinten gehen die Menschen nach. Es ist die Erntedankprozession, sagt jemand.









Als ich am naechsten Tag die Strasse hinuntergehe, ist dort, wo die Maenner gestern den Balken hochgehoben haben, ein ganzes Strassenstueck ueberdacht. Ich treffe Saha und er sagt, er geht ins Ratzi-Restaurant, das gestern noch Laxmi-Restaurant geheissen hat.

Freitag, 16. Januar 2009

Einatmen - ausatmen

Vom Tempelgelaende in Hampi fuehrt eine Gasse hinunter zu einem breiten Flussbett mit schmalem Flusslauf, abgerundete Steinbloecke liegen wie hingewuerfelt. Ein Stein steht ploetzlich auf, es ist der Tempelelefant. Maenner waschen sich und Frauen klopfen Waesche auf die Steine. Grosse Flaechen sind bunt gefleckt von den gewaschenen Tuechern, ihren Saris, die sich die Frauen ab dem Bauch um den Leib wickeln und dann das eine Ende ueber die Schulter nach hinten tragen. Ich fahre mit dem Faehrboot, in dem etwa 20 Leute sitzen, auf die andere Seite. Vier Frauen mit ihren Gemuesekoerben, die von zwei Personen vom Kopf heruntergehoben werden muessen und ein Moped mit Fahrer haben noch Platz.











Auf der anderen Seite gruene Reisfelder, dazwischen Palmen und Steinkegelberge. Auf einem steht der Monkeytempel, dort will ich mir den Sonnenuntergang anschauen. 500 Stufen hinauf und 500 Affen als Begleiter, das ist mir einmal 500 zu viel. Ich kehre um, setze mich auf die Terasse des naechsten Guesthauses und schaue dort dem Sonnenuntergang zu. Ein junger Mann sucht die beste Position fuer ein Sonnenuntergangsfoto und setzt sich zu mir. Ob ich wegen des Festes heute hier bin, will er wissen. Welches Fest, frage ich. Heute Nacht, ein Hindufest, manche sagen auch ein Moslemfest im naechsten Dorf. "Wenn das ein Moslemfest ist, bin ich da als Frau ueberhaupt zu gelassen?" "Ja, ja", sagt Ilja, so heisst er, "es gehen viele hin". " Ich wohne auf der anderen Seite des Flusses, das letzte Faehrboot geht um 7", sage ich. "Oben im Wigwam, wo ich schlafe, sind bestimmt noch Betten frei", sagt er. Inder bauen ein Indianerzelt, das so heisst, weil die Indianer fuer Inder gehalten wurden. Ein Maedchen erzaehlt, dass es auf meiner Seite des Flusses auch so ein Fest gibt. Da beschliesse ich so gegen 8, doch lieber nach Hause zu fahren.









Am Flussufer ist es finster, eine Gruppe junger Maenner sitzt neben dem Boot und ich bleibe dort stehen. Eine Ueberfahrt kostet jetzt 100 statt 10 Rupies und als ich bezahlt habe, kommen noch zwei Inder, die auch hinueber wollen. Wir fahren aber nicht mit dem Boot, sondern mit einem geflochtenen Korb, wie ihn die Fischer verwenden und weil ich nicht weiss, wo und wie ich sitzen soll, bin ich schnell ab der Guertellinie nass. Die nassen Sachen stinken nach Kloake, ich ziehe mich um, wasche sie und gehe in mein Internetcafe. Heute geht nichts, sagt der Chef und sperrt gerade zu. Er fahre jetzt zum Moslemfest und ob ich mitkommen will. Wie weit es ist, will ich wissen. 4 Kilometer sagt er, ich will.









Wir fahren mit dem Moped, der Mond leuchtet uns durch die Nacht ins naechste Dorf. Gleich am Eingang ein Riesenfeuer, dicke Baumstaemme brennen und daneben ein Altarplatz. Wir ziehen unsere Schlapfen aus, bekommen mit dem Palmwedel eine aufs Haupt, einen Aschenpunkt auf die Stirn, ein Zuckernussgemisch in die Hand. Rundherum schwarz verschleierte Moslemfrauen und bunt gewandete Hindufrauen. Ich bin die einzige Weisse und wickle meinen roten Seidenschal um den Kopf. Wir gehen ans andere Ende des Dorfes, das gleiche: Feuer, Altar, Segen. "Um Mitternacht treffen sich die Goetter", sagt mein Begleiter. In der Mitte des Ortes ist eine Feuerstelle aufgebaut, die um Mitternacht entzuendet wird. Musikgruppen gehen herum, ein lautes TRommeln und Blasen. Ein Mann poebelt mich an. Er ist betrunken, sagt mein Begleiter. Da hab ich genug gesehen vom Moslemfest und wir fahren nach Hause.









Am naechsten Morgen nehme ich wieder das Faehrboot ueber den Fluss und treffe Ilja. "Gut, dass du gestern nicht mitgekommen bist. Die Polizei hat uns alle weggeschickt, es waren zu viele Touristen da", sagt er. Wir fahren gemeinsam weiter zu einem See in der Mondlandschaft, wo die Traveller zum Baden hingehen und die Inder zum Gaffen. Ein paar Burschen fragen einen Inder, ob er sich von der hoechsten Stelle springen traut. Ja, sagt er und klettert drei uebereinanderliegende Felsquader auf der senkrechten Seite hinauf, wartet, bis die Fotoapparate eingestellt sind und springt bestimmt 20 Meter hinunter. Alle halten den Atem an, er taucht wieder auf, der Applaus kommt verhalten, er klettert die 10 Meter auf das Felsplateau herauf, wo die Zuschauer sitzen und ist zu stolz, um nach Geld zu fragen. Er bekommt keinen mueden Rupie.









Zurueck auf der TErasse des Guesthouses lese ich in der Zeitung, dass das Moslemfest Muharrum heisst und zum Gedenken an den Martyrer, schiitischen Imam und Enkel des Propheten Hussain stattfindet. Und Ken, ein Brite erklaert mir, dass er nicht an 3000 Goetter glaubt wie die Hindus, auch nicht an drei und nicht einmal an einen. Er ist Buddhist und es geht nur ums Sein, das niemals anfaengt und niemals aufhoert. Darum: einatmen - ausatmen.

Sonntag, 11. Januar 2009

Mein erster Kuli

Im Zug von Margao in Goa nach Hampi, das vor 500 Jahren die Hauptstadt eines Hindureiches war, habe ich eine Schlafwagenkarte fuer den Tag. Ein offener Waggon mit sechser Liegeabteil auf der einen Fensterseite und vis-a-vis Sitzplaetzen, die oben eine Liege haben auf der anderen Fensterseite. Alle Fenster und Tueren sind offen, auch die zum Ein- und Aussteigen, ein Fahngast sitzt in der Tuer auf jeder Seite. Neben mir sitzt eine Inderin, vielleicht 35, im gruen-goldenen Sari mit einer roten Strickhaube, die unterm Kinn gebunden ist. Einmal nimmt sie die Haube ab und streicht durch ihr kurzes Haar. Tempel, Tempel, sagt sie und ich nehme an, dass sie ihr Haar dort geopfert hat. Jetzt ist es vielleicht 10 cm lang. Wann, frage ich und sie zaehlt mit den Fingern bis 7, sieben Monate. Eine westliche Frau koennten schon einen Teil ihrer Haare als blonden Haarteil tragen. Auf jedem Ohr goldene Ohrspangen und Ringe, eine goldenen Halskette, goldenen Ringe an den Fingern, 20 Reifen auf jedem Arm, silberne Fussketten und Zehenringe und einen Nasenstecker. Das alles zeigt sie mir und deutet auf meine schwarzen Perlenohrstecker, meinen einzigen Schmuck. Sie und ihr Mann oder maennlicher Begleiter, der fast die ganze Fahrt woanders steht oder sitzt, haben ihr Essen und Wasser selbst mitgebracht. Nach dem Essen zeigt sie auf ihren Bauch, er tut weh, legt sich halb ausgestreckt auf die Bank, ihren Kopf mit der Rotkaeppchenhaube auf meinen Schoss und schlaeft. Auf der anderen Seite neben mir eine junge Frau mit kleinem Kind, das sie stillt und danach schlafen die beiden auch. Vielleicht faehrt die eine Nachbarin, die jetzt Bauchweh hat, wallfahren zum Tempel und hat ihre Haare geopfert, weil sie Kinder will.





In Hampi muess ich schnell aussteigen, der Zug haelt nicht lange. Ich stelle meine Reisetasche auf den Bahnsteig und ein junger Mann kommt auf mich zu. Kuli, Kuli fragt er und deutet auf die Tasche und ich sage ja und er winkt einen Traeger her, der wickelt ein Tuch dreimal im Kreis, legt es auf den Kopf und stellt die Tasche drauf. Wir gehen zur Fussgaengerbruecke, die ueber die Gleise fueht zum anderen Bahnsteig hinueber, bis zum Bahnhofseingang, wo die Tuk-Tuk-Fahrer warten. 50 Rupies sagt er, das ist ein Viertel des Fahrpreises fuer acht Stunden Zugfahert.



Von der Bahnstation mit der Motorikshaw ein paar Kilometer nach Hampi. Ein Felsenplateau aus runden Steinruecken, darauf kleine offenen Saeulentempel, die auch in Griechenland stehen koennten. Im Ortszentrum ein indischer Tempeltum, unten ein breiter Durchgang, darauf etwa 10 Stockwerke, die sich nach oben verjuengen, auf der Fassade eine Figur neben der anderen. Gruppen von jungen Maennern in schwarzen Roecken und bunt gewandeten Frauen gehen durch das Tor auf das Tempelgelaende. Vis a vis vom grossen Tempelturm der gleiche in kleiner, die Schmalseite parallel zur Laengsseite des grossen. Ich gehe den Pilgergruppen nach ins Innere des kleinen Tempels. Drinnen eine dunkle Kammer mit einem Schlitz, durch den Licht auf die gegenueberliegende Wand faellt. Darauf sieht man die Spitze des anderen Tempelturms auf die Wandflaeche verkehrt projeziert - eine Camera Obscura.



Durch den Tempelhof zurueck beim Tor hinaus lande ich in einer breiten belebten Gasse, dem Hampi Bazaar. Im unteren Teil sind links und rechts kleine Tempelruinen von den Menschen zu ihren Unterkuenften gemacht. Ganz unten ist die Polizeistation, wo sich alle, die neu ankommen, registrieren muessen, in einem alten Tempel untergebracht. Drinnen sitzt ein Mann mit ausgestreckten Beinen an eine Saeule angelehnt am Boden. Eine Frau deutet mich zu einem Tisch hin, wo ein grosses Buch draufliegt, da soll ich meine Daten eintragen. Ich setze mich vor das Buch und schaue zu dem Mann. Er ist an die Saeule gekettet.



Ich gehe weiter vorbei an Maennern, die am Strassenrand sitzen und Floete spielen. Wenn sie den Deckel des Korbes oeffnen, der vor ihnen steht, richtet sich eine Kobra auf. Vor den Haeusern ist frisch gekehrt und aufgespritzt und Frauen stehen gebueckt vorm Hauseingang. Sie haben Kreidestaub zwischen den Fingern, mit dem sie Linien auf den Boden streuen und daraus Muster vor dem Hauseingang zeichnen. Am Abend im Restaurant gibt es kein Fleisch und kein Bier. Das ist ein heiliger Ort, sagt mein Kellner. Er heisst nicht Raj oder Raja und kommt nicht aus Nepal oder Kashmir wie die Burschen bisher, die hier im Sueden Saison arbeiten. Er heisst Ranjeet und kommt aus Dharamsala, von dort, wo der Dalai Lama wohnt.