Montag, 8. Juni 2009

Im Himmel

Die Strasse vom Flughafen nach Dharamshala fuert immer bergauf. Ich teile das Taxi mit Izzy, einem Israeli, der hier seit 5 Jahren wohnt. "Der Dalai Lama hat sich einen wunderschoenen PLatz zum Leben ausgesucht", sagt er. Der Ort oberhalb Dharamshalas heisst McLeodGanj, es leben praktisch nur Tibeter hier. Die Inder haben ihnen dieses Land ueberlassen, weil 1921 alles bei einem Erdbeben zerstoert wurde und die Tibeter 1949, von den Chinesen aus dem eigenen Land vertrieben, einen Ort zum Leben suchten. Die Strasse ist einspurig, trotzdem gibt es Verkehr in beiden Richtungen. Wenn uns auf der Strasse ein Auto entgegenkommt, muss entweder unser oder das andere Fahrzeug zurueckschieben, bis die Strasse breit genug ist, um ein zentimeterweises Vorbeikommen zu ermoeglichen. Ich schaue lieber nicht, wie tief und steil es hinuntergeht. Das hab ich mir schon in Nepal abgewoehnt.

Im Hotel angekommen treffe ich meine Freunde Gusti und Elisabeth aus Oesterreich. Elisabeth hat ein tibetisches Patenkind, das hier in die Schule geht und das sie fuer drei Wochen besucht. Gusti sagt: "Richard Gere hat dem Dalai Lama schon vor Jahren einen neue Strasse versprochen, ich weiss nicht, warum die noch nicht gebaut wurde. Er ist ja viel unterwegs und muss dann immer in dieses haessliche gelbe Gebauede zurueck da gleich vis a vis, das ist der Tempel." Die Moenche singen gerade ihre Mantras, es ist eine heilige Zeit, denn in diesem Monat sind Buddhas GEburtstag, seine Erlaeuchtung und sein Sterbetag. Vom Fenster des Hotels aus sieht man nur Himmel, vom Balkon hinunter in ein breites, langes Tal, das sich im Dunst verliert. Auf der anderen Seite schneebedeckte Berggipfel und auf den Bergruecken kleben die Haeuser.

Auf einem der Bergruecken fast ganz oben wohnt der Tiroler Jakob mit seiner Familie in einem Haus, in dem die Englaender, als sie noch Indien regierten, ihre Sommerfrische verbracht haben. Am Sonntag besuchen wir ihn, das Patenmaechen mit ihren zwei Schwestern und drei Burschen, die im TCV, dem Tibetan Childrens Village oder SOS-Kinderdorf wohnen, sind mit dabei. Dann taucht noch die Schwester von einem der Burschen auf. Danach die Halb-Schwester - die tibetischen Frauen haben bis zu drei Maenner - von einem der Maedchen mit kleinem Kind, dann eine Oma und dazwischen noch ein paar ganz liebe Tibeter. Ein Patenkind kommt selten allein, hier gibts noch die Grossfamilie.

Am naechsten TAg fahren Gusti und ich nach Amritsar, um uns den Goldenen Tempel der Shiks anzuschauen. Vorher noch an die indisch-pakistanische Grenze eine Stunde weiter, wo taeglich um sechs zu einer Wachabloese, wo die Fahnen eingeholt werden, hunderte Schaulustige erscheinen. Als Weisse werden wir wie VIPs behandelt und bekommen einen guten Sitzplatz. Von hier sieht man die pakistanische Seite, wo Frauen und Maenner auf getrennten TRibuenen sitzen, aber hoechstens einhundert insgesamt gegenueber tausend Indern. Einpeitscher machen Stimmung auf beiden Seiten, bruellen Parolen, die Masse schreit zurueck. Manche laufen mit der Fahne in der Hand die 50 Meter bis zur Grenze, das Gittertor ist noch zu. Soldaten maschieren im Stechschritt hin- und her und werfen ein Bein soweit in die Hoehe, als wuerden sie einen Spagat machen. Das Tor geht auf, die Soldaten stehen sich grimmig gegenueber, ziehen die jeweilige Fahne ein, maschieren ab und die Meute johlt.

Gusti und Elisabeth reisen nach einer gemeinsamen Woche ab und ich lerne Martin kennen, einen franzoesischen Kanadier, 37, Schauspieler und Taenzer. Wir machen eine Bergwanderung und treffen zuerst Francoise, eine Franzoesin, 33 und dann Jennifer, eine Kanadierin, 44. Jennifer ist die einzige Frau ausser mir, die ich kenne, die keinen Schmuck traegt. Und sie weiss, dass der Dalai Lama am kommenden Vormittag im TEmpel sein wird und wir gehen hin. Als wir kommen, ist der Tempelvorhof voll, er sitzt auf einem Podest vor der Buddhastatue und beim Vorbeigehen werden wir gesegnet. Wir finden einen PLatz in der aeusseren Halle, von wo wir ihn sehen koennen. Alles ist ruhig, man hoert nur das Geraeusch der Gebetsmuehlen, die Menschen murmeln dazu. Dann faengt der Dalai Lama laut in einem Singsang zu beten an, seine Stimme klingt tief, voll und leicht. Die Menschen antworten, es ist ein Vor-und Nachbeten und nach einer viertel Stunde vorbei. Er steht auf und geht den Gang entlang zu den Stufen, die hinunter zum Platz fuehren, wo ein Auto auf ihn wartet. Er segnet die vor ihm Knieenden und kommt so nahe an mir vorbei, dass ich ihn genau sehen kann.

Mit dem Segen des Dalai Lama gehen wir tanzen. Die Tanzhalle ist an der Laengsseite offen, vor uns liegt das Tal und links und rechts die Berghaenge. Izzy, meine Taxibegleitung ist der DJ und laesst Louis Armstrong singen: Heaven, I am in heaven - ich bin im Himmmel - und genau so fuehle ich mich. Danach gehts zur Massage beim tibetischen Masseur, der mir auch Akupunktur macht und Jenny zum Arzt schickt wegen ihres kranken Magens. Sie will, dass ich mitkomme und der tibetische Arzt verschreibt tibetische Medizin: aus Krautern gepresste Kugerln, fuer sie zum Gesundwerden und fuer mich fuer mehr Energie, bessere Vedauung und so, 5 Stueck taeglich zwei Monate lang und eine eigene Pillenmuehle, in der die Kugerln zu bitterem Staub zermahlen werden.

Martin will den Kamapa besuchen. Der Kamapa ist derjenige, der den naechsten Dalai Lama finden wird. Die Chinesen wollten ihn angeblich schon dreimal umbringen. Er ist ein junger Moench, vielleicht 25 und etwa 100 Leute sind zur Audienz zugelassen. Ich bin die erste, die hineingewunken wird. Ich weiss - wahrscheinlich als einzigen - nicht, was ich tun soll. Ich verbeuge mich, bekomme ein gesegnetes rotes Band ueberreicht und bin schon wieder draussen. Alle anderen haben weisse Gebetsschals mit, die sie segnen lassen, auch Martin, er hat mir aber nichts davon gesagt.

Wir schauen uns noch Norbulinka an, den Sommerpalast und die Kunstschule der Tibeter, wo die Mandala- und Tanakamaler ausgebildet werden. Wieder zurueck im Guesthouse hoere ich Moenchsgesang aus einem der Zimmer, Leute gehen ein und aus. Als ich einmal vorbeigehe, ist die Tuer offen und ich sehe jemanden im Bett liegen und weiss, das sind die letzten Stunden. Das laute Beten geht bis Mitternacht, dann schlafe ich ein und als ich wieder aufwache, beten und singen sie schon wieder oder noch immer. An der Rezeption frage ich nach und erfahre, dass eine alte Frau gestorben ist und denke mir, was fuer eine schoene Art, mit Gebet und Gesang in den Himmel zu kommen.