Freitag, 27. Februar 2009

Am Wasser

Jerome bekommt auf der Insel eine richtig dunkle Hautfarbe. "Die Leute halten mich fuer einen Inder", sagt er. Am Strand gibts eine Vollmondparty und sie wollten ihn fast nicht hineinlassen, denn Inder sind hier nicht zugelassen, die trinken zu viel, heisst es. Der Meeresspiegel steigt zuerst ganz stark an und geht dann sehr weit zurueck. Das Meer ist viele Meter weit trocken und es sieht aus wie eine Mondlandschaft im hellen Mondlicht. Jerome faehrt morgen zurueck nach Port Blair, sein Visum gilt nur mehr zwei Tage und er will nochmal nach Wandoor. Meins laeuft auch aus, aber ich bleibe noch zwei Tage hier. Auf der Ueberfahrt treffe ich Fabio wieder, er war inzwischen auf Neil Island, da gibts noch bessere Riffs zum Schnorcheln als in der Elefant beach.





Ich bin am Tag vor der Abreise dann doch noch hingefahren, zumindest so weit man fahren kann. Der Zugang zur Elefant beach ist versteckt, nur ein paar parkende Mopeds verraten ihn und ich verrate ihn einem Paar aus Schweden. Wir gehen gemeinsam einen kaum merkbaren Weg durch den Dschungel, hinter uns eine Gruppe Israelis, eine von ihnen war schon da. Das Maedchen erzaehlt, dass sie dabei war, als ein Bursche hier von einer Schlange gebissen wurde. Er blieb ganz cool, jemand hat die Schlange fotographiert, um das Gegengift bestimmen zu koennen. Dann haben sie ihn abtronsportiert und alles ist gut gegangen. Ich starre wie paralysiert auf den Weg, bin aber in der Mitte der Gruppe und hoffe, dass sich die Schlangen verzogen haben. Die Inder tragen deshalb Fussketten. Das Gebimmel hoeren die Schlangen schon von weitem und verkriechen sich. Nach einer halben Stunde Fussmarsch kommen wir zu einem Sumpf. "Wessen verdammte Idee war das denn?" fragt jemand und wir starren alle auf den Sumpf. Ein Bursche fasst sich ein Herz: "Da gehen jeden Tag Leute durch", sagt er und tut es auch. Wir gehen hinterher, der Sumpf ist erstaunlich fest, wir kommen an die Elefant beach und das Korallenriff ist nur ein paar Meter vom Strand entfernt. Ich schnorchle eine Weile herum und als ich merke, dass eine indische Familie mit dem Boot Richtung Hafen aufbricht, fahre ich mit ihnen zurueck.





Fabio lacht mich aus. Er hat zwar studiert, dann aber beschlossen, Biobauer zu werden und ist mit der Natur auf du und du. Er hat vor 5 jahren mit 27 gemeinsam mit einem Partner ein altes KLoster samt dazugehoerigen Laendereien gepachtet und muss demnaechst zurueck zur Landwirtschaft. Am Flughafen in Port Blair treffe ich Sewan wieder, wir hatten schon in Havelock festgestellt, dass wir am gleichen Tag nach Kalkutta fliegen. "Du warst aber gar nicht auf der Faehre", sage ich. "Nein, ich habe mich zwischenzeitlich verliebt und sie musste schon frueher abreisen, ihre Aufenthaltserlaubnis ist schon vor zwei Tagen abgelaufen. Also bin ich mit ihr hierher gefahren. In 2 Tagen treffen wir uns in Dehli."





In Kalkutta hab ich ein Zimmer im Fairlawn Hotel bekommen, 2 Maedchen in Havelock haben mir gesagt, man muss nur hartnaeckig genug sein. Ein altes Kolonialhaus mit einer 87-jaehrigen Besitzerin, fuenf Bedienste springen, wenn sie nur mit der Wimper zuckt. Ein Gong ruft zu den Mahlzeiten, gegessen wird gemeinsam, was die livrierten Diener servieren. Es gibt Chicken Tikka Masala, mein erstes Fleisch seit 11 Wochen und in Indien ueberhaupt, aber ich wollte das autentisch zubereitet ohnehin einmal kosten. Ich sitze mit Silvia, einer Italienerin an einem Tisch. "Heute ist mein 70. Geburtstag und die Leprakranken machen ein Fest fuer mich", sagt sie. Seit 9 Jahren kommt sie hierher, um fuer einen Monat im Jahr Freiwilligenarbeit zu leisten. "Ich habe eine Freundin aus Oesterreich, sie lebt allerdings in Argentinien. Sie heisst Pipi Mandel." Ich sage: "Doch nicht die Tochter von dem Mandel, der zuerst mit der Schauspielerin verheiratet war?" "Hedy Lamarr meinst du, ja genau der Fritz Mandel. Seine zweite Frau, ihre Mutter, war Argentinierin, so wie meine Mutter auch. Aber seine dritte Frau hat das ganze Geld abgeraeumt." Ich frage nicht, ob sie Juedin ist, aber sie erzaehlt, dass sie in Zuerich - am Weg - geboren wurde. "Wie ist denn Oesterreich jetzt ohne Haider? Warst du fuer oder gegen ihn?", fragt sie. "Na gegen, ist doch klar." "Und stimmt es, dass er schwul war?" "Na sicher, dass wusste doch eh jeder." "Na du vielleicht, aber sonst?" Ich schenke ihr einen Perlmuttarmreifen, den ich in Port Blair gekauft habe, zum Geburtstag. Sie freut sich und geht zu ihrem Fest.





Ich gehe mir die Stadt anschauen, zuerst zum Indian Coffee House im Univiertel, koennte auch in Wien sein. Voller Studenten und einigen gewesenen, ueberall wird heftig diskutiert, sodass man den Baustellenlaerm kaum hoert, es wird gerade renoviert. Und die Kellner typische Kaffeehauskellner, irgendwann bekommt man dann doch was. Wieder auf der Strasse sehe ich Waende voller Buecher, ein Buecherkiosk neben dem anderen, da gibts sicher alles, was man sonst wo auf der Welt nicht mehr findet. Dazwischen eine Studentendemo gegen die Kuerzung des Unibudgets. Im Taxi zum Victoriamemorial, an riesigen Parks vorbei, das gibt eine Idee von der Macht des Britischen Empire. Auf dem Weg zum Hotel treffe ich Sewan nochmals, wir essen gemeinsam, bevor er nach Dehli faehrt. Der GAstgarten vor dem Hotel ist TReffpunkt fuer Westler aller Art. Ich lerne John kennen, er kommt aus Kanada, hat in Frankreich und Japan gelebt und dann entdeckt, dass er sich in Indien zu Hause fuehlt. "Da hast du aber Glueck, dass du weisst, wo deine Wurzeln sind", sage ich. Er nickt mit dem Kopf so wie ein Inder, ja, nein,vielleicht. "Glueck oder nicht, hier ist die Erde, die mich naehrt", sagt er.





Am naechsten Tag fahre ich zuerst zum Blumenmarkt, Farben und Duefte, soweit man sehen und riechen kann und dann bin ich bereit fuer Mutter Teresa, ich fahre ins Mutterhaus. Als ich hinkomme, ist es gerade Mittag und eigentlich geschlosen. Zwei anderen Frauen stehen schon vor der Tuer und verhandeln wegen des Einlasse und so duerfen wir dann hinein. Ich gehe in den grossen Raum unten, wo ihr Sarkopharg steht und der als Kapelle dient. In dem Moment, wo ich ihn betrete, fange ich zu weinen an und weine und weine und weine. Es dauert lange, bis der Traenenfluss aufhoert. Dann schaue ich mir die Ausstellung zu ihrer Lebensgeschichte an und die Traenen kommen wieder. Inzwischen sind mehr Leute da und ein Inder fragt, ob wir ihre Stimme hoeren koennen. Eine Schwester macht die typische Kopfbewegung und ich muss denken an meine Kindergartentage, als die Klosterschwestern im Kindergarten eine Sparkasse aufgestellt hatten fuer die Mission, wie es hies. Wenn man eine Muenze hineinwarf, bewegte ein kleines Negerlein zum Dank den Kopf so wie die Inder. Und die Schwestern lasen immer wieder Geschichten vor, was das denn ist, die Mission. Eine davon endete mit: "Und sie zog ihre seidenen Struempfe aus und blieb bei den Armen, und ihnen zu helfen."





Am Abend im Hotel ist Silvia sehr gluecklich ueber ihre Geburtstagsfeier und zeigt Fotos. Eine junge Frau an unserem Tisch fragt, wie es denn gekommen ist, dass sie Leprakranke betreut. Silvia erzaehlt, dass sie vor 9 Jahren nach Hongkong geflogen ist, um ein Schmuckstueck fuer die Queen zu liefern. 2 Wochen spaeter sollte sie in Dubai sein. Und da hat sie sich mal Kalkutta angeschaut, liegt ja in der Mitte. Jetzt kommt mir der Armreifen, den ich ihr geschenkt habe, mikrig vor, aber sie traegt ihn. John ist wieder im Gastgarten draussen und fragt, wie mein Tag war. Ich erzaehle ihm vom Mutterhaus und von den Traenen. Da sagt er: "Bengalen, das ist der Staat, wo wir jetzt sind, ist die Heimat der watergypsies, also der Wasserzigeuner. Und das heisst auch, dass erwachsene Maenner, wenn sie eine Geschichte erzaehlen, zu heulen beginnen, so nahe am Wasser sind die gebaut." Da faellt mir meine Urgrossmutter ein, die ich sehr gern hatte und die gestorben ist, als ich 10 Jahre alt war. Ihre Mutter war Zigeunerin, wird erzaehlt. Und mir kommt vor, als waere sie gerade hier hinter dem Vorhang verschwunden, nachdem sie mich den ganzen Tag begleitet hat. "Vielleicht hast du ja auch deine Wurzeln gefunden", sagt John.

Donnerstag, 26. Februar 2009

Shanti, Shanti

Die Tsunamibar liegt gleich neben dem Guesthouse im Dschungel, wo die Bungalows keine Waende haben - es sind Baumhaeuser. Auf den Inseln gibt es noch Eingeborenenvoelker, die beim Tsunami nicht zu Schaden kamen, weil sie rechtzeitig ins Landesinnere geflohen sind. Die bekommen wir natuerlich nicht zu Gesicht. Jerome und ich fahren mit dem Glasbodenboot hinaus zu dem Korallenriff. Besser als das Riff finde ich ein Ehepaar mit Baby, das den Ausflug auch macht. Der Bootsjunge haelt das Baby, vier Monate alt, wie ich spaeter erfahre, waehrend die beiden schnorcheln. Sie gehoeren zu den Shiks, denn er hat die Haare mit einem Tuch hinaufgebunden und als sie wieder aus dem Wasser wollen, muessen sie die Frau zu dritt herausziehen.



Am naechsten TAg fahren wir gemeinsam mit der Faehre auf die Insel Havelock. Auf der Ueberfahrt sehen wir jede Menge fliegende Fische, das heisst, sie springen nicht nur aus dem Wasser, sie fliegen tatsaechlich ein paar Meter und bewegen die Flossen dabei wie Fluegel. Jerome will weiter auf Neil-Island, ich will auf Strand NUmmer 7. Der soll laut Time Magazine der schoenste Strand Asien sein. Diana, eine verrueckt laute Englaenderin organisiert bereits, wer mit wem wohin faehrt. Mit einem Jeep fahre ich gemeinsam mit fuenf anderen noch zehn Kilometer und dann sind wir da: smaragdgruenes Wasser, weisser Sand, Mangrovenbaeume und SONST NICHTS ausser Sandfloehe, die mich sofort beissen. Also nichts ist perfekt, aber fuer mich ist es der schoenste Strand der Welt, soweit ich sie bis jetzt kenne. Zurueck im Guesthouse haengt Fabio, ein Italiener gerade die Haengematte auf und bringt ein Bier. Ich lege mich hinein, daneben klimpert jemand auf der Gitarre und ich schaue durch die Palmwipfel hindurch zu den Sternen hinauf.



Am nachsten Tag auf dem Weg zum Strand ueberholt mich Jerome mit dem Fahhrad. "Ich denke, du bist auf Neilisland", sage ich. "Da ging dann keine Faehre mehr und Strand Nummer 5 ist auch sehr schoen, aber Nummer 7 musste ich mir doch anschauen", sagt Jerome. Wir gehen gemeinsam an den Strand und erzaehlt mir, dass er die Familie seines Vaters in Benin besucht hat und auch schon in Madagaskar war. Und nach Indien ist er gekommen, um eventuell in Bangalore zu arbeiten. Er ist vielleicht dreissig und Motorenkonstrukteur, zur Zeit fuer Hubschrauber. "Aber in Bangalore ist nichts, wenn die Arbeit aus ist, kannst du nirgends hingehen." "Das ist so wie hier, wenn es finster ist, gibts Abendessen und dann ins Bett." "Bei mir am Strand gibt ein nettes Lokal"' sagt Jerome. Am naechsten Tag ziehe ich um.



Im Dorf wird gerade ein Fest fuer Lord Krishna vorbereitet. Ist es Zufall, ist es die Jahreszeit oder ist es Indien? Zuerst


christlich Weihnachten in Goa


moslemische Moharrum in Hampi


hinduistisches Mahar Sankranti in Gokarna


hinduistisches Rawi Dass Jayanti in Havelock


Dazwischen die Sadhus, die Wandermoenche und Leute, die erzaehlen, dass sie in einem Ashram, einer Art Kloster gelebt haben und Buddhisten und Juden. "Ist Indien ein heiliges Land?", frage ich einen Inder. Er bewegt seinen Kopf, so wie alle hier den Kopf bewegen und das kann heissen ja, nein oder vielleicht. Denn es ist eine liegenden Acht, die sie beschreiben.



Bei Einbruch der Dunkelheit lockt mich lautes TRommeln auf die Strasse. Eine Gruppe von Leuten geht von einem Andachtsort zum naechsten. Eine Frau ist weiss geschminkt im GEsicht, ein Mann traegt ein blumengeschmuecktes Boot auf dem Kopf und eine andere Frau einen Korb mit Fruechten. Sie tanzen sich in Trance, zwei Maenner blasen ihnen mit Pfeifen ins Ohr, wenn es am wildesten ist, schuettet jemand der weisgeschminkten Frau einen Kuebel voll Wasser ueber den Kopf und jemand anderer schlaegt zwei rohe Eier in die Wasserlacke. Dann ziehen sie weiter.



Am Abend gibts ein FEstessen in der Markthalle. Etwa 400 Leute sitzen in acht Reihen am Boden, vor ihnen liegen Bananenblaetter und Maenner und Frauen gehen mit Kuebel voller Reis oder GEmuese herum. Jeder bekommt zuerst einen Schoepfer REis und darauf einen Schoepfer Gemuese in Sosse. Den ganze Tag schon wurde in riesigen Toepfen auf offenem Feuer gekocht, junge Maenner wurden mit Saecken voll Reis aufgewogen, die dann unter lautem Geschrei gespendet wurden, dazwischen haben Musikanten gepielt und rundherum sind Schaubuden mit allerlei Krimskrams aufgebaut. Ein richtiger Kirtag eben.



Ich habe mich mit zwei britischen Paaren angefreundet, Nick und Harry waren heute erfolgreich zum Fischen und die Fische gibts zum Abendessen. Hoffentlich. Es ist schon zehn Uhr vorbei und wir fragen den Manager, wann es denn soweit sein wird. "Shanti, Shanti", sagt er, das heisst eigentlich Frieden, aber hier wohl eher: nur mit der Ruhe. "Die Fische sind sehr gross und wir muessen sie langsam garen." Nick versteht das, er ist selber Koch, hat gemeinsam mit seiner Freundin Dawn ein Pub betrieben und es jetzt gerade verkauft, rechtzeitig, wie beide meinen. "Ich bin 30, er ist 40, ohne Job und ohne Haus", meint sie halb im Scherz. Charlotte und Harry auch, aber die sind beide erst 25. Eine Frau in meinem Alter kommt auf mich zu. "Ich kenne dich", sagt sie und ich schaue sie fragend an. Sie ueberlegt: Faehre, Chennai, nein, jetzt weiss ichs, es war voriges jahr in Laos. Da hat sie recht, Luang Prabang, schon wieder ein heiliger Ort, wir haben uns beim Kajakfahren kennen gelernt. Cindy und ihr Mann Tom haben eine Galerie in Nova Scotia in Kanada und reisen das halbe Jahr in Asien herum, um dafuer einzukaufen. Ich glaube, die Geschichte hat umgekehrt angefangen, zuerst sind sie gereist und haben eingekauft und dann wollten sie das Zeug verkaufen und haben eine Gallerie eroeffnet. Jedenfalls hat sie mir die Adresse eines Hotels in Hanoi gegeben, das genau gepasst hat. Wir haben uns nur zwei Mal gesehen und jetzt muessen wir sehr lachen und haben uns viel zu erzaehlen. Dass die Fische erst um Mitternacht auf den Tisch kommen, stoert niemanden mehr.

Mittwoch, 25. Februar 2009

Hotel California

"Gehoeren dir die zwei blonden Kinder unten am Strand?", fragt Pia den Mann am Nebentisch auf der Terasse der German Bakery und Pizzeria in Gokarna, wos laut Emma den besten Kaffee gibt und jeden zweiten Tag der Aufgang und der Lehmboden der Sitzecke mit frischem Kuhdung gestrichen wird. Emma ist eine junge Frau aus Schweden und weiss alles ueber diesen Ort. Ihr wurde auf dem Weg hierher im Zug der Rucksack gestohlen und jetzt wartet sie seit zwei Wochen auf einen neuen Computer aus der Heimat. Sie weiss nicht genau, warum, denn ihren Job als Immobilienmaklerin wird sie wegen der Krise auch bald los sein. Wenigstens hat sie Antonio hier gefunden, ihren spanischen Freund. Pia ist eine deutsche Schauspielerin in meinem Alter und mit ihrem englischen Freund hier. Sie ist seit zehn Jahren mit ihm zusammen, will sich aber erst scheiden lassen, wenn ihr Sohn das Abitur hat, also in drei Jahren. Jetzt schreibt sie Dinnerkrimis und sucht nach Stoff. Liam sitzt auch bei uns, er ist Englaender, ueber 60 und hat in 5 Wochen Indien 15 Kilo abgenommen. Weitere 40 sollen in 6 Monaten folgen. Darueber will er ein Buch schreiben: "Wie man in 6 Monaten schlank und reich wird". Der Mann am Nebentisch bejaht Pias Frage. "Und wer ist der dunkelhaeutige Bursche, der mit ihnen herumtobt?" "Das ist Ritchie, mein Ziehsohn". "Und wie heisst du?" "Ich heisse Charlie Braun", sagt der Mann und beginnt zu erzaehlen.




Er stammt aus Hamburg und ist Anfang der siebziger Jahre mit dem Magic Bus nach Indien gekommen. Die 300 Mark, die er dabei hatte, wurden ihm schnell gestohlen. Er hat sich nach Goa durchgeschlagen und begonnen, am Strand Suppe zu verkufen. Nach einer Woche hatte er bereits einen Angestellten. Fuer den machte er am unteren Drittel des Suppentopfs einen Strich und ab dort gehoerte das Geld, das er fuer die Suppe bekam, ihm. Bald darauf begann er, Devisen in Rupies und umgekehrt zu wechseln und von dem Profit hat er sich einen Bus gekauft und ist mit Fahrgaesten einmal im Monat von Goa ueber Dehli nach Kathmandu gefahren. ER nannte ihn den Chapati-Express. Als er damit genug verdient hatte, kaufte er sich ein Haus in der Naehe von Pondicherry. Dort wurde 1968 eine Kommune gegruendet, dies heute noch gibt - Auroville. Die Leute, die nicht dort wohnen konnten oder wollten, haben sich bei ihm eingemietet. Er nannte es "Hotel California". "What a lovely place", sage ich. Irgendwann hat er dann mit dem Kiffen aufgehoert, ist wieder wach geworden und in ein Ashram gegangen, hat fuenf Jahre lang die Bhagavagita studiert. "Es ist die aelteste Gebrauchsanleitung der Welt in Sanskrit geschrieben. Es sagt dir nicht, wie du leben sollst. Es sagt: wenn du das tust, dann wird das geschehen, also kein: du sollst oder du darfst nicht, es zeigt einfach die Folgen deines Tuns."


Jetzt ist er 61, hat zwei kleine Kinder und ist mit einer Schweizer Krankenschwester verheiratet, die um 30 Jahre juenger ist als er.


Jetzt vertreibt er Markenkinderkleidung, die in Indien erzeugt wird, uebers Internet.



Ich mache eine Ayurvedakur. Eine Woche lang jeden Tag Oelmassagen, ausser einmal mit Milch und Kraeutern. Ich komme mir schon vor wie eine Oelsardine. Aber es zeigt Wirkung: ich kann wieder richtig schlafen, nicht einmal das Hundegeklaeff in der Nacht weckt mich mehr auf. Als die Kur zu Ende ist, beschliesse ich, Gokarna zu verlassen und ueber Chennai auf die Andamaneninseln zu fliegen. Alle anderen sind auch schon weg, ausser Nicolas, der am liebsten GEdichte von seinem Lieblingsdichter Rilke liegt. Er schreibt selber auch welche, im wirklichen Leben ist er aber ueber 40 und vermietet je nach Jahreszeit Schi oder Boote. Nach Chennai muss ich von Goa aus fliegen und dort kann ich bei Irena wohnen. Sie ist Schweizerin mit slowenischen Wurzeln und wohnt den Winter ueber hier. Ihre Tochter ist als REiseleiterin nach Goa gekommen, hat einen Goaner geheiratet und jetzt haben sie einen kleinen Sohn, Ethan ist vier Monate alt.







Ich erzaehle die Geschichte von Charlie Braun dem Briten Pablo, mit dem ich mir eine Riskshaw vom Flughafen in die Stadt Chennai teile. "Das ist gar nichts", sagt er. "Ich bin mit meinen Eltern und den zwei juengeren Geschwistern mit einem VW-Bus von England nach Indien gekommen, als ich acht Jahre alt war. Wir haben drei Jahre in Pune gelebt, dann ist meine Mutter mit uns Kindern zurueck nach England und mein Vater ist geblieben." Pune ist heute noch bekannt fuer das Osho International Meditation Resort, das in den siebziger Jahren von Bhagwan Rajneesh als internationale Osho Kommune 1974 gegruendet wurde. Die Grundsaetze: Buddhismus, Sufismus, sexuelle Befreiung, Tantra, Zen, Yoga, Hypnose, Tibet, Disco und Materialismus. Heute ist es eine gpflegte, oekofreundliche Anlage mit einem reichen Angebot von TEnnis, das hier Zennis heisst ueber Urschreitheraphie bis zu Meditationstechniken. Besucher werden aufgenommen, wenn sie einen negativen HIV-Test vor- oder dort ablegen koennen. Steht alles im Buch (Lonely Planet, Rough Guide oder die deutschen Pendants). Saha wollte dorthin, wenn ich mich recht erinnere.



Nach einer laengeren Fahrt verstehe ich die Verkehrsregeln: ich komme, also hupe ich und das staerkere Fahrzeug hat immer recht. Der Fluss kuendigt sich mit Gestank als KLoake an und auf der anderen Seite des Ufers schmeckt Chennais Luft, die jetzt nur mehr mit Abgasen verpestet ist, ploetzlich annehmbar. Ein Schal ueber den Kopf und Nase und Mund bedecken ist trotzdem angebracht: zu viele moslemsiche Maenner. Nach dem Abendessen gehen wir in eine Bar, nur Maenner, nehmen ein Bier mit und trinken es im Hotelzimmer. In der Frueh bringt der Hotelboy heisses Wasser im Kuebel ins Marmorbad.




Aus dem Flugzeug nach Port Blair sehe ich unter mir die Andamaneninseln in smaragdgruenem Wasser, Marco Polo war angeblich auch schon da. Sie liegen nahe an Myanmar/Thailand. Gemeinsam mit Jerome, einem Franzosen, fahre ich mit dem Bus nach Wandoor, einem Strand auf der gegenueberliegenden Seite der Insel. Er liegt im Mahatma Ghandi Nationalpark und es ist der erste Ort in Indien, wo die Luft gut ist. Am Strand liegen viele verkohlte Baumstaemme. Jerome geht sich ein Guesthouse anschauen, ich warte inzwischen am Strand. Als er zurueckkommt, ist es der Strand fast leer, die drei Staende, wo man den sehr suessen indischen Tschai - halb Tee, halb Milch kaufen kann, machen auch schon zu. Es beginnt zu daemmern, obwohl es kaum fuenf Uhr ist. "Die Bungalows im ersten Guesthouse kann man nicht zusperren, die im zweiten haben keine Tuer und die im dritten haben keine Waende. Da wirst du bestimmt nicht wohnen wollen." Wir kennen uns war erst zwei Stunden, aber da hat er ganz recht. Ich nehme einen Bungalow ohne Tuerschloss und als ich davor sitze, wird der Himmel dunkelrot und die Sonne geht unter, wie man das manchmal auch im Hotel California zu sehen bekam.