"Gehoeren dir die zwei blonden Kinder unten am Strand?", fragt Pia den Mann am Nebentisch auf der Terasse der German Bakery und Pizzeria in Gokarna, wos laut Emma den besten Kaffee gibt und jeden zweiten Tag der Aufgang und der Lehmboden der Sitzecke mit frischem Kuhdung gestrichen wird. Emma ist eine junge Frau aus Schweden und weiss alles ueber diesen Ort. Ihr wurde auf dem Weg hierher im Zug der Rucksack gestohlen und jetzt wartet sie seit zwei Wochen auf einen neuen Computer aus der Heimat. Sie weiss nicht genau, warum, denn ihren Job als Immobilienmaklerin wird sie wegen der Krise auch bald los sein. Wenigstens hat sie Antonio hier gefunden, ihren spanischen Freund. Pia ist eine deutsche Schauspielerin in meinem Alter und mit ihrem englischen Freund hier. Sie ist seit zehn Jahren mit ihm zusammen, will sich aber erst scheiden lassen, wenn ihr Sohn das Abitur hat, also in drei Jahren. Jetzt schreibt sie Dinnerkrimis und sucht nach Stoff. Liam sitzt auch bei uns, er ist Englaender, ueber 60 und hat in 5 Wochen Indien 15 Kilo abgenommen. Weitere 40 sollen in 6 Monaten folgen. Darueber will er ein Buch schreiben: "Wie man in 6 Monaten schlank und reich wird". Der Mann am Nebentisch bejaht Pias Frage. "Und wer ist der dunkelhaeutige Bursche, der mit ihnen herumtobt?" "Das ist Ritchie, mein Ziehsohn". "Und wie heisst du?" "Ich heisse Charlie Braun", sagt der Mann und beginnt zu erzaehlen.
Er stammt aus Hamburg und ist Anfang der siebziger Jahre mit dem Magic Bus nach Indien gekommen. Die 300 Mark, die er dabei hatte, wurden ihm schnell gestohlen. Er hat sich nach Goa durchgeschlagen und begonnen, am Strand Suppe zu verkufen. Nach einer Woche hatte er bereits einen Angestellten. Fuer den machte er am unteren Drittel des Suppentopfs einen Strich und ab dort gehoerte das Geld, das er fuer die Suppe bekam, ihm. Bald darauf begann er, Devisen in Rupies und umgekehrt zu wechseln und von dem Profit hat er sich einen Bus gekauft und ist mit Fahrgaesten einmal im Monat von Goa ueber Dehli nach Kathmandu gefahren. ER nannte ihn den Chapati-Express. Als er damit genug verdient hatte, kaufte er sich ein Haus in der Naehe von Pondicherry. Dort wurde 1968 eine Kommune gegruendet, dies heute noch gibt - Auroville. Die Leute, die nicht dort wohnen konnten oder wollten, haben sich bei ihm eingemietet. Er nannte es "Hotel California". "What a lovely place", sage ich. Irgendwann hat er dann mit dem Kiffen aufgehoert, ist wieder wach geworden und in ein Ashram gegangen, hat fuenf Jahre lang die Bhagavagita studiert. "Es ist die aelteste Gebrauchsanleitung der Welt in Sanskrit geschrieben. Es sagt dir nicht, wie du leben sollst. Es sagt: wenn du das tust, dann wird das geschehen, also kein: du sollst oder du darfst nicht, es zeigt einfach die Folgen deines Tuns."
Jetzt ist er 61, hat zwei kleine Kinder und ist mit einer Schweizer Krankenschwester verheiratet, die um 30 Jahre juenger ist als er.
Jetzt vertreibt er Markenkinderkleidung, die in Indien erzeugt wird, uebers Internet.
Ich mache eine Ayurvedakur. Eine Woche lang jeden Tag Oelmassagen, ausser einmal mit Milch und Kraeutern. Ich komme mir schon vor wie eine Oelsardine. Aber es zeigt Wirkung: ich kann wieder richtig schlafen, nicht einmal das Hundegeklaeff in der Nacht weckt mich mehr auf. Als die Kur zu Ende ist, beschliesse ich, Gokarna zu verlassen und ueber Chennai auf die Andamaneninseln zu fliegen. Alle anderen sind auch schon weg, ausser Nicolas, der am liebsten GEdichte von seinem Lieblingsdichter Rilke liegt. Er schreibt selber auch welche, im wirklichen Leben ist er aber ueber 40 und vermietet je nach Jahreszeit Schi oder Boote. Nach Chennai muss ich von Goa aus fliegen und dort kann ich bei Irena wohnen. Sie ist Schweizerin mit slowenischen Wurzeln und wohnt den Winter ueber hier. Ihre Tochter ist als REiseleiterin nach Goa gekommen, hat einen Goaner geheiratet und jetzt haben sie einen kleinen Sohn, Ethan ist vier Monate alt.
Ich erzaehle die Geschichte von Charlie Braun dem Briten Pablo, mit dem ich mir eine Riskshaw vom Flughafen in die Stadt Chennai teile. "Das ist gar nichts", sagt er. "Ich bin mit meinen Eltern und den zwei juengeren Geschwistern mit einem VW-Bus von England nach Indien gekommen, als ich acht Jahre alt war. Wir haben drei Jahre in Pune gelebt, dann ist meine Mutter mit uns Kindern zurueck nach England und mein Vater ist geblieben." Pune ist heute noch bekannt fuer das Osho International Meditation Resort, das in den siebziger Jahren von Bhagwan Rajneesh als internationale Osho Kommune 1974 gegruendet wurde. Die Grundsaetze: Buddhismus, Sufismus, sexuelle Befreiung, Tantra, Zen, Yoga, Hypnose, Tibet, Disco und Materialismus. Heute ist es eine gpflegte, oekofreundliche Anlage mit einem reichen Angebot von TEnnis, das hier Zennis heisst ueber Urschreitheraphie bis zu Meditationstechniken. Besucher werden aufgenommen, wenn sie einen negativen HIV-Test vor- oder dort ablegen koennen. Steht alles im Buch (Lonely Planet, Rough Guide oder die deutschen Pendants). Saha wollte dorthin, wenn ich mich recht erinnere.
Nach einer laengeren Fahrt verstehe ich die Verkehrsregeln: ich komme, also hupe ich und das staerkere Fahrzeug hat immer recht. Der Fluss kuendigt sich mit Gestank als KLoake an und auf der anderen Seite des Ufers schmeckt Chennais Luft, die jetzt nur mehr mit Abgasen verpestet ist, ploetzlich annehmbar. Ein Schal ueber den Kopf und Nase und Mund bedecken ist trotzdem angebracht: zu viele moslemsiche Maenner. Nach dem Abendessen gehen wir in eine Bar, nur Maenner, nehmen ein Bier mit und trinken es im Hotelzimmer. In der Frueh bringt der Hotelboy heisses Wasser im Kuebel ins Marmorbad.
Aus dem Flugzeug nach Port Blair sehe ich unter mir die Andamaneninseln in smaragdgruenem Wasser, Marco Polo war angeblich auch schon da. Sie liegen nahe an Myanmar/Thailand. Gemeinsam mit Jerome, einem Franzosen, fahre ich mit dem Bus nach Wandoor, einem Strand auf der gegenueberliegenden Seite der Insel. Er liegt im Mahatma Ghandi Nationalpark und es ist der erste Ort in Indien, wo die Luft gut ist. Am Strand liegen viele verkohlte Baumstaemme. Jerome geht sich ein Guesthouse anschauen, ich warte inzwischen am Strand. Als er zurueckkommt, ist es der Strand fast leer, die drei Staende, wo man den sehr suessen indischen Tschai - halb Tee, halb Milch kaufen kann, machen auch schon zu. Es beginnt zu daemmern, obwohl es kaum fuenf Uhr ist. "Die Bungalows im ersten Guesthouse kann man nicht zusperren, die im zweiten haben keine Tuer und die im dritten haben keine Waende. Da wirst du bestimmt nicht wohnen wollen." Wir kennen uns war erst zwei Stunden, aber da hat er ganz recht. Ich nehme einen Bungalow ohne Tuerschloss und als ich davor sitze, wird der Himmel dunkelrot und die Sonne geht unter, wie man das manchmal auch im Hotel California zu sehen bekam.
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