Freitag, 27. Februar 2009

Am Wasser

Jerome bekommt auf der Insel eine richtig dunkle Hautfarbe. "Die Leute halten mich fuer einen Inder", sagt er. Am Strand gibts eine Vollmondparty und sie wollten ihn fast nicht hineinlassen, denn Inder sind hier nicht zugelassen, die trinken zu viel, heisst es. Der Meeresspiegel steigt zuerst ganz stark an und geht dann sehr weit zurueck. Das Meer ist viele Meter weit trocken und es sieht aus wie eine Mondlandschaft im hellen Mondlicht. Jerome faehrt morgen zurueck nach Port Blair, sein Visum gilt nur mehr zwei Tage und er will nochmal nach Wandoor. Meins laeuft auch aus, aber ich bleibe noch zwei Tage hier. Auf der Ueberfahrt treffe ich Fabio wieder, er war inzwischen auf Neil Island, da gibts noch bessere Riffs zum Schnorcheln als in der Elefant beach.





Ich bin am Tag vor der Abreise dann doch noch hingefahren, zumindest so weit man fahren kann. Der Zugang zur Elefant beach ist versteckt, nur ein paar parkende Mopeds verraten ihn und ich verrate ihn einem Paar aus Schweden. Wir gehen gemeinsam einen kaum merkbaren Weg durch den Dschungel, hinter uns eine Gruppe Israelis, eine von ihnen war schon da. Das Maedchen erzaehlt, dass sie dabei war, als ein Bursche hier von einer Schlange gebissen wurde. Er blieb ganz cool, jemand hat die Schlange fotographiert, um das Gegengift bestimmen zu koennen. Dann haben sie ihn abtronsportiert und alles ist gut gegangen. Ich starre wie paralysiert auf den Weg, bin aber in der Mitte der Gruppe und hoffe, dass sich die Schlangen verzogen haben. Die Inder tragen deshalb Fussketten. Das Gebimmel hoeren die Schlangen schon von weitem und verkriechen sich. Nach einer halben Stunde Fussmarsch kommen wir zu einem Sumpf. "Wessen verdammte Idee war das denn?" fragt jemand und wir starren alle auf den Sumpf. Ein Bursche fasst sich ein Herz: "Da gehen jeden Tag Leute durch", sagt er und tut es auch. Wir gehen hinterher, der Sumpf ist erstaunlich fest, wir kommen an die Elefant beach und das Korallenriff ist nur ein paar Meter vom Strand entfernt. Ich schnorchle eine Weile herum und als ich merke, dass eine indische Familie mit dem Boot Richtung Hafen aufbricht, fahre ich mit ihnen zurueck.





Fabio lacht mich aus. Er hat zwar studiert, dann aber beschlossen, Biobauer zu werden und ist mit der Natur auf du und du. Er hat vor 5 jahren mit 27 gemeinsam mit einem Partner ein altes KLoster samt dazugehoerigen Laendereien gepachtet und muss demnaechst zurueck zur Landwirtschaft. Am Flughafen in Port Blair treffe ich Sewan wieder, wir hatten schon in Havelock festgestellt, dass wir am gleichen Tag nach Kalkutta fliegen. "Du warst aber gar nicht auf der Faehre", sage ich. "Nein, ich habe mich zwischenzeitlich verliebt und sie musste schon frueher abreisen, ihre Aufenthaltserlaubnis ist schon vor zwei Tagen abgelaufen. Also bin ich mit ihr hierher gefahren. In 2 Tagen treffen wir uns in Dehli."





In Kalkutta hab ich ein Zimmer im Fairlawn Hotel bekommen, 2 Maedchen in Havelock haben mir gesagt, man muss nur hartnaeckig genug sein. Ein altes Kolonialhaus mit einer 87-jaehrigen Besitzerin, fuenf Bedienste springen, wenn sie nur mit der Wimper zuckt. Ein Gong ruft zu den Mahlzeiten, gegessen wird gemeinsam, was die livrierten Diener servieren. Es gibt Chicken Tikka Masala, mein erstes Fleisch seit 11 Wochen und in Indien ueberhaupt, aber ich wollte das autentisch zubereitet ohnehin einmal kosten. Ich sitze mit Silvia, einer Italienerin an einem Tisch. "Heute ist mein 70. Geburtstag und die Leprakranken machen ein Fest fuer mich", sagt sie. Seit 9 Jahren kommt sie hierher, um fuer einen Monat im Jahr Freiwilligenarbeit zu leisten. "Ich habe eine Freundin aus Oesterreich, sie lebt allerdings in Argentinien. Sie heisst Pipi Mandel." Ich sage: "Doch nicht die Tochter von dem Mandel, der zuerst mit der Schauspielerin verheiratet war?" "Hedy Lamarr meinst du, ja genau der Fritz Mandel. Seine zweite Frau, ihre Mutter, war Argentinierin, so wie meine Mutter auch. Aber seine dritte Frau hat das ganze Geld abgeraeumt." Ich frage nicht, ob sie Juedin ist, aber sie erzaehlt, dass sie in Zuerich - am Weg - geboren wurde. "Wie ist denn Oesterreich jetzt ohne Haider? Warst du fuer oder gegen ihn?", fragt sie. "Na gegen, ist doch klar." "Und stimmt es, dass er schwul war?" "Na sicher, dass wusste doch eh jeder." "Na du vielleicht, aber sonst?" Ich schenke ihr einen Perlmuttarmreifen, den ich in Port Blair gekauft habe, zum Geburtstag. Sie freut sich und geht zu ihrem Fest.





Ich gehe mir die Stadt anschauen, zuerst zum Indian Coffee House im Univiertel, koennte auch in Wien sein. Voller Studenten und einigen gewesenen, ueberall wird heftig diskutiert, sodass man den Baustellenlaerm kaum hoert, es wird gerade renoviert. Und die Kellner typische Kaffeehauskellner, irgendwann bekommt man dann doch was. Wieder auf der Strasse sehe ich Waende voller Buecher, ein Buecherkiosk neben dem anderen, da gibts sicher alles, was man sonst wo auf der Welt nicht mehr findet. Dazwischen eine Studentendemo gegen die Kuerzung des Unibudgets. Im Taxi zum Victoriamemorial, an riesigen Parks vorbei, das gibt eine Idee von der Macht des Britischen Empire. Auf dem Weg zum Hotel treffe ich Sewan nochmals, wir essen gemeinsam, bevor er nach Dehli faehrt. Der GAstgarten vor dem Hotel ist TReffpunkt fuer Westler aller Art. Ich lerne John kennen, er kommt aus Kanada, hat in Frankreich und Japan gelebt und dann entdeckt, dass er sich in Indien zu Hause fuehlt. "Da hast du aber Glueck, dass du weisst, wo deine Wurzeln sind", sage ich. Er nickt mit dem Kopf so wie ein Inder, ja, nein,vielleicht. "Glueck oder nicht, hier ist die Erde, die mich naehrt", sagt er.





Am naechsten Tag fahre ich zuerst zum Blumenmarkt, Farben und Duefte, soweit man sehen und riechen kann und dann bin ich bereit fuer Mutter Teresa, ich fahre ins Mutterhaus. Als ich hinkomme, ist es gerade Mittag und eigentlich geschlosen. Zwei anderen Frauen stehen schon vor der Tuer und verhandeln wegen des Einlasse und so duerfen wir dann hinein. Ich gehe in den grossen Raum unten, wo ihr Sarkopharg steht und der als Kapelle dient. In dem Moment, wo ich ihn betrete, fange ich zu weinen an und weine und weine und weine. Es dauert lange, bis der Traenenfluss aufhoert. Dann schaue ich mir die Ausstellung zu ihrer Lebensgeschichte an und die Traenen kommen wieder. Inzwischen sind mehr Leute da und ein Inder fragt, ob wir ihre Stimme hoeren koennen. Eine Schwester macht die typische Kopfbewegung und ich muss denken an meine Kindergartentage, als die Klosterschwestern im Kindergarten eine Sparkasse aufgestellt hatten fuer die Mission, wie es hies. Wenn man eine Muenze hineinwarf, bewegte ein kleines Negerlein zum Dank den Kopf so wie die Inder. Und die Schwestern lasen immer wieder Geschichten vor, was das denn ist, die Mission. Eine davon endete mit: "Und sie zog ihre seidenen Struempfe aus und blieb bei den Armen, und ihnen zu helfen."





Am Abend im Hotel ist Silvia sehr gluecklich ueber ihre Geburtstagsfeier und zeigt Fotos. Eine junge Frau an unserem Tisch fragt, wie es denn gekommen ist, dass sie Leprakranke betreut. Silvia erzaehlt, dass sie vor 9 Jahren nach Hongkong geflogen ist, um ein Schmuckstueck fuer die Queen zu liefern. 2 Wochen spaeter sollte sie in Dubai sein. Und da hat sie sich mal Kalkutta angeschaut, liegt ja in der Mitte. Jetzt kommt mir der Armreifen, den ich ihr geschenkt habe, mikrig vor, aber sie traegt ihn. John ist wieder im Gastgarten draussen und fragt, wie mein Tag war. Ich erzaehle ihm vom Mutterhaus und von den Traenen. Da sagt er: "Bengalen, das ist der Staat, wo wir jetzt sind, ist die Heimat der watergypsies, also der Wasserzigeuner. Und das heisst auch, dass erwachsene Maenner, wenn sie eine Geschichte erzaehlen, zu heulen beginnen, so nahe am Wasser sind die gebaut." Da faellt mir meine Urgrossmutter ein, die ich sehr gern hatte und die gestorben ist, als ich 10 Jahre alt war. Ihre Mutter war Zigeunerin, wird erzaehlt. Und mir kommt vor, als waere sie gerade hier hinter dem Vorhang verschwunden, nachdem sie mich den ganzen Tag begleitet hat. "Vielleicht hast du ja auch deine Wurzeln gefunden", sagt John.

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