Freitag, 7. August 2009

Begegnungen

Ich bleibe in Darwin. Die Stadt ist nach Charles Darwin benannt, der hier bei seiner Erforschung der Arten Station gemacht hat. Ich warte auf Jasmin, eine Australierin, mit der ich voriges Jahr eine Woche in Hanoi verbracht habe. Sie arbeitet auf einem Schiff, das draussen im Meer Perlen einbringt. Nach neun Wochen auf See gehen sie vier Tage an Land, denn gehts wieder hinaus fuer sechs Wochen. Am Abend ihres Eintreffens geht praktisch die ganze Besatzung ins Pub, etwa 20 Leute, die Haelfte davon Frauen. Es ist eine lustige Runde, fast alles junge Leute, die ein halbes Jahr durcharbeiten und dann ein halbes Jahr freihaben, Perlenfischen ist Saisonarbeit. Jasmin, die alle Jazz nennen, sagt, heute hab ich mir mein Bankkonto angeschaut und jetzt weiss ich wieder, warum ich das mache. Einmal fahre ich noch hinaus, dann reichts.
Wir gehen weiter in die Disco, bummvoll, heute ist Tits Tuesday und nach Mitternacht marschieren die Maedels der Reihe nach auf die Buehne und praesentieren sich, manche auch ihren Busen.

Fuer den naechsten Tag ist Camping angesagt, Jazz, ihr Freund Chris, Amanda mit ihren zwei Hunden und Ron und Stacey, wir fahren mit zwei Landcruisern. Riesige Ueberlandlastwagen kommen uns auf der Strasse entgegen, dann gehts weiter auf einer Ruettelpiste durch abgebrannte Waelder zum Meer. Dort am Strand entlang auf der Suche nach einem Platz zum Fischen, spaeter fuer ein Feuer und zum Uebernachten. Weiter unten, wo ein jetzt kleiner Fluss ins Meer muendet, sind Krokodile und Amanda laesst ihre Hunde nicht von der Leine. Am Abend schlagen sie die Zelte auf. Ich klettere auf den Landcruiser, der als Dachgalerie einen metallenen Lattenrost hat. Im Schlafsack ist eine Schaumgummimatratze, darueber ein wasserdichter Ueberzug und drinnen ein Leinenschlafsack, gross genug zum Uebern Kopf ziehen wegen der Moskitos. Ich schluepfe hinein, ueber mir der Himmel voller Sterne, dicht gewebt wie ein Teppich, es ist mein Himmelszelt.

Waehrend ich auf Jazz gewartet habe, denke ich an Toni und Tonia, urspruenglich Englaender, Ende der sechziger Jahre auf einer kostenlosen Ueberfahrt mit dem Schiff nach Australien gekommen. 1991 wurde Toni als australischer Handelsdelegierter nach Polen entsandt. Tonia hat eine Schweizer Mutter und war eine meiner Liebsten in den Deutsch-Konversationsstunden, die ich in Warschau gehalten habe. Vor ein paar Jahren ist der Kontakt abgebrochen, jetzt finde ich in den White Pages, dem australischen Telefonbuch im Internet eine Telefonnummer, die passen koennte und rufe an.

"Ich heisse Edith, bin aus Oesterreich und habe in Polen gelebt, haben sie auch in Polen gelebt?", frage ich. "Ja", sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. "Eine Tonia hat meine Deutsch-Konversationasstunden besucht. Ich bin in Australien und habe mir gedacht, ich versuche, sie zu kontaktieren. Bin ich an der richtigen Adresse?" Ich bin und Toni holt Tonia ans Telefon. Die Ueberraschung ist gross und sie laden mich ein, ein paar Tage bei ihnen in Coffs Harbour zu verbringen, nur eine Flugstunde von Sydney entfernt, fuer australische Verhaeltnisse praktisch um die Ecke. Der Anflug auf Coffs Harbour ist turbulent und die Frau neben mir sagt, einmal haben sie es wegen des starken Windes dreimal probiert und dann sind wir erst woanders gelandet und mussten zehn Stunden mit dem Bus fahren. Bei uns klappt beim zweiten Mal eine relativ sanfte Landung.

Sie warten auf mich in der Ankunftshalle, wir erkennen uns sofort wieder und Tonia sagt: "Du siehst viel entspannter aus." Wir fahren eine viertel Stunde und sind in einem Wald mit Bananenplantagen, mitten drinnen ihr neues Haus auf einem Hang. Das Sandsteingebauede umgibt eine Holzveranda, gross und breit in weiss und ein bisschen rot, im Erdgeschoss ist es ein Arkadengang. Die Voegel zwitschern, ein kleiner weisser unscheinbarer schreit, dass ich zusammenzucke, als ich ihn zum ersten Mal hoere.Von der oberen Ecke der Veranda kann man das Meer sehen. Im Garten hohe alte Baeume, Avocados, Mangos, Zitronen und Orangen, bluehende Azaleenbuesche und Palmen. Eine riesige Zysterne fuers Wasser, es reicht sechs Monate und wenn man sparsam ist, fuer neun. In der Zeit wirds hoffentlich wieder mal regnen. Weiter unten im Sueden und Westen Australiens ist Wasser noch knapper. Toni sagt, dass hier viele POHMs leben, so heissen in Australien die Englaender und es bedeutet: Prisoners of His Majesty=Gefangene des Koenigs.

Sydney ist mein naechster Stopp. Die vielen Wolkenkratzer im Zentrum erinnern an New York, Sydney ist aber doch mehr London: es gibt den Hyde Park, St. James, Oxford Street, sogar Grosvenor - nicht Square, sondern Place. Sehr gepflegt und sauber, ich finde keine abgefuckten Ecken. Und ich melde mich bei Joejoe, einem Freund meiner Schwester. Ich nehme eine Faehre nach Manley, wo er mich abholt, ein gruener Stadtteil mit Strand und Meeresschwimmbecken. Wir verstehen uns sofort, auch mit seiner Freundin Susie und sie laden mich ein, bei ihnen zu wohnen. Wir fahren nach Cronulla und machen eine Bootstour am Palm Beach, besuchen Darling Harbour mit dem Opernhaus, das aussieht wie ein Reptil und The Rocks, ein paar alte Gebaeude zwischen den Wolkenkratzern. Fuer einen Moment denke ich, wo bin ich, in Singapur? In Singapur ist es sehr heiss, hier hat es um die zwanzig Grad. "Wenn das euer Winter ist, damit kann ich leben", sage ich zu Susie und Joe, die mich praktisch adoptiert haben, auf unserem Weg nach Hause ueber die Spitbridge, die Spuckbruecke, - passt gut zu Coffs Harbour, dem Hustenhafen. "Manchmal denke ich, ich kenne mich aus, und dann weiss ich erst wieder nicht, wo ich bin", sage ich. "Im Leben oder in der Stadt?", fragt Joe.

Joe ist Oesterreicher, ist seit dreizehn Jahren hier und arbeitet als Clowndoktor. Susies Eltern sind aus Slowenien hierher gekommen, als es noch Jugoslawien war. Heuer wollen sie heiraten und vielleicht gehen sie dann doch einmal nach Oesterreich. Ich denke daran, wie oft ich als Oesterreicherin fuer eine Australierin gehalten werde. Was haben die beiden Laender gemeinsam ausser einem Teil des Namens? Die Jahreszeiten bestimmt nicht, das Wasser schmeckt nach Chlor, der Wein ist gut. Im Fernsehen gibts "Kommisar Rex", der hier "Inspektor Rex" heisst und genauso populaer zu sein scheint wie zu Hause. Und ich sehe Plakate in der ganzen Stadt mit einem Werbespruch fuer Mobeiltelefone: "Hier kommt Bob", genauso wie zu Hause und frage mich, wer hat hier von wem abgeschaut.

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