Im Zug von Margao in Goa nach Hampi, das vor 500 Jahren die Hauptstadt eines Hindureiches war, habe ich eine Schlafwagenkarte fuer den Tag. Ein offener Waggon mit sechser Liegeabteil auf der einen Fensterseite und vis-a-vis Sitzplaetzen, die oben eine Liege haben auf der anderen Fensterseite. Alle Fenster und Tueren sind offen, auch die zum Ein- und Aussteigen, ein Fahngast sitzt in der Tuer auf jeder Seite. Neben mir sitzt eine Inderin, vielleicht 35, im gruen-goldenen Sari mit einer roten Strickhaube, die unterm Kinn gebunden ist. Einmal nimmt sie die Haube ab und streicht durch ihr kurzes Haar. Tempel, Tempel, sagt sie und ich nehme an, dass sie ihr Haar dort geopfert hat. Jetzt ist es vielleicht 10 cm lang. Wann, frage ich und sie zaehlt mit den Fingern bis 7, sieben Monate. Eine westliche Frau koennten schon einen Teil ihrer Haare als blonden Haarteil tragen. Auf jedem Ohr goldene Ohrspangen und Ringe, eine goldenen Halskette, goldenen Ringe an den Fingern, 20 Reifen auf jedem Arm, silberne Fussketten und Zehenringe und einen Nasenstecker. Das alles zeigt sie mir und deutet auf meine schwarzen Perlenohrstecker, meinen einzigen Schmuck. Sie und ihr Mann oder maennlicher Begleiter, der fast die ganze Fahrt woanders steht oder sitzt, haben ihr Essen und Wasser selbst mitgebracht. Nach dem Essen zeigt sie auf ihren Bauch, er tut weh, legt sich halb ausgestreckt auf die Bank, ihren Kopf mit der Rotkaeppchenhaube auf meinen Schoss und schlaeft. Auf der anderen Seite neben mir eine junge Frau mit kleinem Kind, das sie stillt und danach schlafen die beiden auch. Vielleicht faehrt die eine Nachbarin, die jetzt Bauchweh hat, wallfahren zum Tempel und hat ihre Haare geopfert, weil sie Kinder will.
In Hampi muess ich schnell aussteigen, der Zug haelt nicht lange. Ich stelle meine Reisetasche auf den Bahnsteig und ein junger Mann kommt auf mich zu. Kuli, Kuli fragt er und deutet auf die Tasche und ich sage ja und er winkt einen Traeger her, der wickelt ein Tuch dreimal im Kreis, legt es auf den Kopf und stellt die Tasche drauf. Wir gehen zur Fussgaengerbruecke, die ueber die Gleise fueht zum anderen Bahnsteig hinueber, bis zum Bahnhofseingang, wo die Tuk-Tuk-Fahrer warten. 50 Rupies sagt er, das ist ein Viertel des Fahrpreises fuer acht Stunden Zugfahert.
Von der Bahnstation mit der Motorikshaw ein paar Kilometer nach Hampi. Ein Felsenplateau aus runden Steinruecken, darauf kleine offenen Saeulentempel, die auch in Griechenland stehen koennten. Im Ortszentrum ein indischer Tempeltum, unten ein breiter Durchgang, darauf etwa 10 Stockwerke, die sich nach oben verjuengen, auf der Fassade eine Figur neben der anderen. Gruppen von jungen Maennern in schwarzen Roecken und bunt gewandeten Frauen gehen durch das Tor auf das Tempelgelaende. Vis a vis vom grossen Tempelturm der gleiche in kleiner, die Schmalseite parallel zur Laengsseite des grossen. Ich gehe den Pilgergruppen nach ins Innere des kleinen Tempels. Drinnen eine dunkle Kammer mit einem Schlitz, durch den Licht auf die gegenueberliegende Wand faellt. Darauf sieht man die Spitze des anderen Tempelturms auf die Wandflaeche verkehrt projeziert - eine Camera Obscura.
Durch den Tempelhof zurueck beim Tor hinaus lande ich in einer breiten belebten Gasse, dem Hampi Bazaar. Im unteren Teil sind links und rechts kleine Tempelruinen von den Menschen zu ihren Unterkuenften gemacht. Ganz unten ist die Polizeistation, wo sich alle, die neu ankommen, registrieren muessen, in einem alten Tempel untergebracht. Drinnen sitzt ein Mann mit ausgestreckten Beinen an eine Saeule angelehnt am Boden. Eine Frau deutet mich zu einem Tisch hin, wo ein grosses Buch draufliegt, da soll ich meine Daten eintragen. Ich setze mich vor das Buch und schaue zu dem Mann. Er ist an die Saeule gekettet.
Ich gehe weiter vorbei an Maennern, die am Strassenrand sitzen und Floete spielen. Wenn sie den Deckel des Korbes oeffnen, der vor ihnen steht, richtet sich eine Kobra auf. Vor den Haeusern ist frisch gekehrt und aufgespritzt und Frauen stehen gebueckt vorm Hauseingang. Sie haben Kreidestaub zwischen den Fingern, mit dem sie Linien auf den Boden streuen und daraus Muster vor dem Hauseingang zeichnen. Am Abend im Restaurant gibt es kein Fleisch und kein Bier. Das ist ein heiliger Ort, sagt mein Kellner. Er heisst nicht Raj oder Raja und kommt nicht aus Nepal oder Kashmir wie die Burschen bisher, die hier im Sueden Saison arbeiten. Er heisst Ranjeet und kommt aus Dharamsala, von dort, wo der Dalai Lama wohnt.
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1 Kommentar:
Hi Biz: eine Frage zu den Haaren: gibt es in Stinkenbrunn auch einen Tempel?
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