"Ich fahre am Freitag nach Kathmandu zurueck und bleib auf dem Weg eine Nacht bei einem Schamanen. Moechtest du mitkommen?", fragt Rolf. Er ist Deutscher und Journalist und lebt seit zwei Jahren in Nepal, berichtet von hier und betreut Entwicklungshilfeprojekte. Ich moechte mitkommen. Am Freitag zu fahren schaffen wir nicht, weil wir am Abend mit einer Runde aus England, Schottland, Ireland, Belgien, Holland und Amerika bis vier Uhr frueh in der Bluesbar meinen Paraglidingflug feiern. Wahrscheinlich waeren wir sonst auch nicht frueher gegangen. Wir fahren am Samstag frueh mit dem Bus. Um drei Uhr nachmittags steigen wir kurz vor Kathmandu aus. Der Schamane hat zwei stattliche Haeuser nebeneinander, ist 76 und heisst Mohan. "Heute frueh haettet ihr kommen sollen, da hatten wir ein grosses Fest zu Ehren der Ahnengeister. Es ist Maivollmond und da wird fuer die Ahnen getrommelt, getanzt und gesungen", sagt er und schlaegt auf die grosse TRommel im Zeremonienraum, dass ich zusammenzucke. Befreundete Schamanen, die meisten davon Frauen, sitzen erschoepft im Hof. Eine Gruppe von Schuelern aus dem Westen ist auch da. "Ich verstehe nicht, wie wir das versaeumen konnten", sage ich zu Rolf. "Hab ich doch nicht gewusst ", sagt er.
"Vom Maivollmond bis zum Augustvollmond sind die Goetter auf Urlaub, dann gibts wieder ein grossen Fest", sagt Mohan. Er zeigt mir den Altarraum und ich bleibe sitzen vor einer Wand voller Masken. Eine aeltere Frau, eine Juengere und ein Mann kommen herein. Dann eine Schamanin. Die aeltere Frau setzt sich vor die Altarwand, die Schamanin zuendet eine Kerze und Raeucherstaebchen an, dann stellt sie sich vor die Frau, den Ruecken zum Altar, die Raeucherstaebchen in der Hand, Reiskoerner in der anderen. Sie beginnt, Mantras zu singen, die Raeucherstaebchen ueber den Kopf und die Schultern der Frau zu schwingen und am Ende jedes Mantras ein paar Reiskoerner Richtung Altar zu werfen. Dann das gleiche ohne Pause wieder, die Augen geschlossen und nach einer Weile Singsang faengt sie zu schlottern und zu huepfen an. Eine Energie ist aus dem Koerper der Frau herausgestiegen, wurde von ihr freigelassen. Sie streicht der Frau ueber den Kopf und die Schultern, ohne sie zu beruehren. Das macht sie ein paar Mal, dann kommt der Mann dran mit der gleichen Zeremonie. Die Frauen tratschen einstweilen und niemanden stoert es, dass ich dabeisitze.
Wieder draussen im Garten fragt mich ein Schamane, ob er mich checken soll. "Warum nicht", sage ich. Mohan, der Chefschamane, sagt, du solltest besser darueber schlafen und morgen frueh entscheiden, ob du das wirklich willst. Rolf und ich uebernachten hier so wie die vier Schamanenschueler, die am naechsten Tag zur Ausbildung in die Berge aufbrechen. Nach dem Fruehstueck sitze ich dem Schamenen gegenueber, der an jeder Hand meinen Puls fuehlt. Dann gehen wir in den Altarraum mit einem von Mohans Soehnen, der uebersetzt. "Was ist dein Problem?", fragt der Schamane. "Ich habe bestimmt hundert Probleme", sage ich. "Wo soll ich anfangen?", sage ich. "Woran dankst du?", fragt er. "Seit ich hier bin, denke ich an meine Grossmama. Es ist der Tag vor dem Muttertag und da ist sie gestorben. Der Schamane sagt: "Ueber sie musst du dir keine Gedanken machen, sie ist ein einer besseren Welt und begleitet als Schutzgeist dich und die ganze Familie. Es geht ihr gut. Da gibt es kein Problem", und ich muss weinen vor Freude. "Die andere Sache ist, du verlierst seit fuenf oder sechs Monaten Energie. Ist irgendwas passiert?" "Ich bin seit fuenf Monaten unterwegs. Seit ich reise, werde ich von meinem Exmann im Traum heimgesucht. Letzte Nacht war er wieder da und ich wache mueder auf, als ich schlafen gehe." "Was hast du noch mit ihm zu tun?"'fragt er. "Gar nichts, ausser dass er mir noch immer Geld schuldet und das will ich haben", sage ich. "Das spuert er wahrscheinlich und deine Erdenergie ist im Moment schwach, da kann er dich leicht angreifen, das kostet dich Energie. Es ist eine Spirale nach unten. Wir koennen das stoppen, wir machen eine Zeremonie." Wir vereinbaren, ich komme am naechsten Abend mit Rolf wieder, denn morgen muss ich mir mein indisches Visum abholen und am Freitag muss ich aus Nepal draussen sein, da mein nepalisches Visum ablauft.
Als wir Montag abend bei Mohan ankommen, ist es schon dunkel. "Wir machen die Zeremonie morgen, denn ein Teil muss im Freiem unter der Sonne stattfinden", sagt Mohan. Rolf und ich setzen uns auf den Balkon und schauen dem Gewitter zu, trinken Bier und hausgebrannten Schnaps. Blitze ueber dem ganzen Himmel, die unter die Haut gehen und gewaltige Donnerschlaege, dann heftiger Regen, die Vorboten des Monsoon, der in einem MOnat beginnen wird. Am naechsten Morgen faehrt Rolf nach Pokhara zurueck, wir verabschieden uns. In der Frueh geht Mohan mit mir in den Altarraum. "Mit den Ahnen deiner Mutter ist alles in Ordnung. Auf der Seite deines Vater gibt es ein Problem. Ein maennlicher Vorfahre ist gewaltsam gestorben, ein Mord, ein Unfall, welche Gewalt weiss ich nicht, es kann lange her sein, wir schauen immer sieben Generationen zurueck. Der irrt jetzt verloren umher, aber wir koennen ihn durch Opfer beruehigen. Und du muss an deinen Exmann denken, er soll kommen und dir das Geld geben, du musst ihn anrufen, es sagen. Pavrati, die Schamanin, wird die Zeremonie machen. Zuerst herinnen und dann draussen, es wird etwa eine Stunde dauern."
Pavrati kenne ich schon, sie ist eine etwa sechzigjaehrige Frau mit langem Zopf, zerfurchtem Gesicht und guetigen Augen. Die Zeremonie ist genauso, wie sie sie gestern gemacht hat. Ich schliesse die Augen und nach einer Weile Singsang spuere ich, wie eine Energie aus mir raus steigt, fange zu zittern an, oeffne die Augen und Pavrati schlottert und huepft vor mir. Ein paar Sekunden spaeter legt sie beruhigend ihre Haende ueber meinen Kopf. Das wiederholt sie einige Male drinnen. Ein paar Mal muss ich weinen, dann draussen vor einem kleinen blumengeschmueckten Altarplatz, ich sitze davor auf einem Sessel. Dann muss ich aufstehen, ein Stueck weiter hinten in der Sonne und neben einer Raeucherschale stehen. Immer wieder kommen Traenen. Der letzte Geist ist besonders hartnaeckig. Pavrati nimmt einen Besen und kehrt ihn weg von meinen Schultern, dem Bauch, dem Ruecken, zwischen den Beinen und von den Fuessen. Es schuettelt und beutelt mich hin und her, aber dann ist er weg. Mohan kommt mit einem geschnitzten Stab und beruehrt die sieben Chakren. "Ein Teil von dir hat geschlafen und wenn die Seele schlaeft, ist man immer muede. Jetzt haben wir sie aufgeweckt und alles wird gut", sagt Mohan und bringt mir einen Tee. Etwas spaeter kommt Pavrati wieder. Jetzt hat sie einen Sari an und schaut aus wie eine normale Inderin. Wir fahren gemeinsam im Rikshaw-Kleinbus nach Kathmandu. Ich bin ziemlich erschoepft. In der Nacht schlafe ich gut und am naechsten Tag habe ich einen Zahnarzttermin, weil seit einer Weile ein Zahn wackelt. Als ich im Zahnarztsessel sitze und der Zahnaerztin den wackeligen Zahn zeigen will, wackelt er nicht mehr.
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3 Kommentare:
Hat Mohan Rai, der Schamane, etwa Deine Seele beruehrt??? - Sie so richtig wach geruettelt und wach geschuettelt? Nach allen Regeln der viele tausend Jahre alten Schamanen-Kunst? - Mohan Rai kann machen, dass Zaehne nicht mehr wackeln ; ))? - Wie macht der das?
Sehen wir uns hier zum Vollmond im August? Rolf, Kathmandu, sunny & warm : ))
vielleicht solltest du auch mal seine kunst ausprobieren - kann ich nur empfehlen! und ein wiedersehen zum vollmond im august klingt sehr verlockend, mal sehen!
edith, seminjak, bali, auch sunny and warm
Ja, ich werde ganz sicher eine Zeremonie mit Mohan ueber meine hundsmiserable Beziehung zu meiner aelteren Schwester Christel machen. Da ist seit acht Jahren totale Funkstille. Sie ist meine Schwester. Ich liebe sie.
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